Die Liebenden von Ahrenshoop

Beitragsbild:  v. l. n. r.: Leon (Thomas Schubert), Nadja (Paula Beer), Felix (Langston Uibel), David (Enno Trebs) gucken in die Luft // © Christian Schulz/Schramm Film

Regen oder Schnee im Sommer? Wir sind doch nicht in Australien, sondern an der Ostsee. Ach so — es regnet Asche vom roten Himmel. Denn die eben zwar noch bedrohlich, aber doch in vergleichsweise weiter Ferne lodernden Waldbrände haben sich ins Arbeitsurlaubsdomizil von Leon, Felix und Nadja gefräst. Dabei fing doch alles so gut und heimelig an bei diesem Trip ins Haus von Felix’ Mutter, das auf einer Lichtung direkt in Strandnähe steht. Aber fing es das?

„Irgendwas stimmt nicht“

Geht so. Denn bereits auf dem Weg aus Berlin bleibt das Auto auf der Straße liegen. Leon (Thomas Schubert, Polizeiruf 110: Bis Mitternacht) ist sowieso missmutig und es wird festgestellt: „Irgendwas stimmt nicht.“ Das dürfte ja ein fröhlich-sommerlicher Aufenthalt werden, wenn dies der erste Satz ist! Immerhin ist Felix (Langston Uibel) ein laufender Sonnenschein und lässt all die Launen seines Freundes, der an seinem zweiten Roman arbeitet, eher abprallen, strahlt sie heiter zurück. 

Leon auf Schuljungen-Abstand zu Nadja // © Christian Schulz/Schramm Film

So auch als sie feststellen, dass sie nicht allein im wunderbar gelegenen Haus sind, sondern noch eine Nadja (Paula Beer, Bad Banks, Undine, Euer Ehren), die Nichte der Arbeitskollegin von Mama, untergekommen ist. Leon ist, wie es sein Naturell scheint, genervt; Felix erkennt an, dass Nadja Lasagne kann. Ihr wird ein Brief geschrieben, den sie länger nicht liest. Sie bleibt geheim, eine Art stummer Schatten. Außer des Nächtens, wenn Leon, der doch arbeiten muss!, wach liegt, weil Nadja Musik hört, lacht und Sex hat.

Schließlich schläft er im Garten, in einer Art Laube, die ebenso sein Platz sein wird, um Schriftsteller zu spielen, und sieht irgendwann einen Nackten davon traben. Morgens will er Nadja konfrontieren — die ihn mit entwaffnender Freundlichkeit und einem Kaffee begrüßt. Nun kennt man einander also, jedenfalls irgendwie…

„Bisschen schmonzettig.“

…auch lernen wir noch Nadjas Ficke aus der Nacht kennen. Er ist Rettungsschwimmer, heißt Devid (Enno Trebs, Niemand ist bei den Kälbern) und liefert Felix eine gute Idee für dessen Bewerbungsmappe zum Studium an der Universität der Künste. Die der durch sich selbst zerfressene Leon erst einmal malträtiert. Beinahe ist es erstaunlich, dass Roter Himmel von Christian Petzold mit diesem nur bedingt sympathischen, sich vollkommen in seiner nur aus ihm bestehenden Blase, sich quasi in einer Hohlwelt bewegenden Hauptcharakter Leon ein so wunderbarer, oftmals leichtfüßiger Film geworden ist.

Devid und Helmut lauschen Nadja und Der Asra // © Christian Schulz/Schramm Film

Der erste Teil geriert sich wie eine Komödie, eher im Stile eines Pfau als Manta Manta. Kein Haudrauf-Humor, viel stilles Lachen, viel greifbare Heiterkeit. Das ist natürlich auch dem formidablen Ensemble geschuldet, zu dem in der zweiten Filmhälfte noch der kongeniale Matthias Brandt als Leons Verleger Helmut stößt, der ihm einfach mal aus dessen Buch „Club Sandwich“ vorlesen will. Die Vermutung der Zuschauer*innen, dass das Zweitwerk eher weniger gut sei, bestätigt sich immer wieder.

„Du weißt doch selbst, dass das Bullshit ist.“

Zwar mag Leon Nadjas Urteil zuerst nicht annehmen. Was weiß schon eine Eisverkäuferin! (Wenn er sie auch nicht in einen Topf mit der Putzfrau werfen wollte.) Auch das zieht uns ein wenig in den Film: Leon ist Teil jeder Szene, nichts geschieht ohne ihn. Das heißt, alles, was wir über Felix, Nadja, Devid und Helmut erfahren, erfahren wir über Leon. Was nicht bedeutet nur aus seiner Sicht, aber eben nur im Rahmen seiner Gegenwart. Daraus ergeben sich natürlich Missverständnisse, liegt sein Interesse an der Welt doch aktuell nur bei ihm selbst. Spannend ist zudem, was manches Mal hinter ihm oder ohne ihn, wenn er nur beobachtet, geschieht. Sich nicht „in die Szene“ begeben kann — die Arbeit! — aber doch eigentlich will. 

Alles Mist?! // © Christian Schulz/Schramm Film

In einem lockeren Sommer, den zwar alle mit Arbeit, aber ebenso Leben verbringen, ist er der Angespannte, der Getriebene. Der sich dem Leben und dem in diesem Verlorengehen verweigert. Und doch scheint er in sich selbst verloren. Scheint nicht recht zu wissen wohin, wie sich artikulieren. Der Autor, der allzu oft die Worte verloren hat. Zudem einer, der selber zu ahnen scheint, dass das „Club Sandwich“ nicht lecker ist (Petzold spielt hier wohl übrigens auf den Titel seines zweiten Films Cuba libre an). 

„Weißt du, du bist echt noch blöder als dein Buch“

Petzold, der mit Roter Himmel nach Undine den zweiten Teil einer Trilogie verwirklicht hat und für diesen erneut mit dem Silbernen Bären der Berlinale gewürdigt wurde, sagt zum Film, dass ihm in Deutschland Sommerfilme fehlten, wie sie in den USA und vor allem in Frankreich gemacht würden. Er bezieht sich dabei auf Eric Rohmer, dessen Gesamtwerk er von der französischen Ko-Produzentin von Undine, Margaret Ménégoz, geschenkt bekommen und das er während einer Corona-Erkrankung durchgebinged hatte. Wir können aber auch in die jüngere Geschichte schauen und beispielsweise François Ozons Sommer 85 betrachten, Bretten Hannams Wildhood oder den sommerlichen Slasher Sissy von Hannah Barlow und Kane Senes und stellen fest: Ja, solche Filme gibt es aus Deutschland eher nicht. 

Felix, der versucht zu Leon durchzudringen // © Christian Schulz/Schramm Film

Filme also, in denen sich lichtdurchflutet und quicklebendig große Veränderungen aber auch Geplänkel, Auseinandersetzungen und Nähe, Wunderbares, aber auch Dramatisches ereignen. Im Presseheft spricht Petzold davon, dass Rhythmus im Film sei und dem kann nur zugestimmt werden. Ein Rhythmus, der durchgehend funktioniert und der mit leichten Ausschlägen immer mal wieder den Ton bricht und nicht selten beschwingte Reaktionen aus uns herauslockt. 

Etwa auch, wenn hier und da die Ahnungslosigkeit Leons in Bezug auf die Welt um ihn herum lakonisch thematisiert wird. So, als ihm erst allmählich dämmert, dass es nun Felix und Devid (übrigens so ein Ostding, genau wie „Maik“, erläutert Felix) sind, die im großen Zimmer vögeln, dann aber wieder eine Einladung Nadjas ausschlägt das nächtliche Meer zu beobachten. Ihr ahnt es — die Arbeit!

„Nein. Kein Bild auf’m Titel… um Gottes Willen.“

Über all dem schwebt — in fantastischen Bildern von Petzolds Langzeitkollaborateur Hans Fromm — subtil immer die Gefahr des Waldbrandes. Zuerst nur akustisch wahrgenommen über Helikopter, eine Durchsage der Feuerwehr im Ort (der sonst ganz akkurat nach Urlaub und wirklich so gar nicht nach Kulisse aussieht) usw. usf. (Petzold: „Ich fand es viel besser, dass das wie so eine Glocke aus Dürre über der gan­zen Szene hängt.“) Schließich aber sind die Flammen allzu nahe. Dramatisch eine Szene im Wald, als Leon zu Fuß auf dem Weg in den Ort ist und Geräusche, die bei einem ersten Aufenthalt an ähnlicher Stelle bedrohlich wirkten, hier nun pure Verzweiflung und das Ende einer sicher geglaubten Welt bedeuten. 

Ruhe am Meer // © Christian Schulz/Schramm Film

Orte die wir lieben, tauchten immer zwei Mal auf und zwischendurch sei etwas geschehen, habe Harun Farocki einmal mit Blick auf gemeinsame Filme mit Christian Petzold diesem gesagt. Dem ist auch in Roter Himmel so. Etwas, das auffällt, ob dieser Gedanke nun bekannt ist oder nicht. Diese Dinge passieren oft, ohne dass wir sie sehen — dem wohnt dann mitunter eine besondere Tragik inne (dazu im PPS. mehr). 

Tragisch kann es auch nur genannt werden, dass der wirklich beeindruckende Film von der Deutschen Filmakademie übergangen und so gar nicht für den Deutschen Filmpreis nominiert wurde. Wer da wie umnachtet war oder womöglich dachte, hier einen synchronisierten französischen Film zu sehen, vermag ich nicht zu sagen. Dass es mehr als irritierend ist, hingegen durchaus. So oder so lässt sich Roter Himmel genießen und ist zauberhaft, teils auch noch über das Unheil hinaus.

AS

PS: In Undine war es Wasser, in Roter Himmel nun Feuer… Nun gibt es vier Elemente. Es fehlen noch Luft und Erde. Mit der Erde im Sinne des irdischen ist aber in den Petzold-Filmen alles verbunden. Wird’s dann also die Luft? Hmm… Schauen wir mal. 

PPS: Achtung Spoiler — Text markieren, um das Folgende zu lesen.

Etwas, das wir ahnen, als ein Traktor losfährt, geschieht: Die frischverliebten Felix und Devid kommen im Feuer um. Lebendig verbrannt, einander umarmend wie Die Liebenden von Pompeji. Das ist auf der einen Seite romantisch, so auf die düstere Art. Auf der anderen kann mensch hier den „Bury Your Gays“-Trope (quasi „Kill Deine Homos“-Tropus) erfüllt sehen. Dieser Tod bildet zwar einen wesentlichen Ankerpunkt in der Geschichte, wird zu einem Aufhänger für eine Wendung am Ende, die sowohl Schlusspunkt als auch Anfang von etwas Neuem sein kann und gibt der Geschichte durchaus eine dringliche Tragik (Klimawandel tötet etc.). Kann andererseits jedoch ebensogut als reines Storyvehikel gesehen werden, das dabei helfen soll, den anderen Figuren und insbesondere Leon aus einer Bredouille zu helfen. Hat es für mich ein Geschmäckle? Ja. Ruiniert es Roter Himmel? Definitiv nicht. 

Roter Himmel ist am 17. April 2023 im Rahmen von MonGay in ausgehalten Kinos zu sehen. Regulär startet der Film an diesem Donnerstag, den 20. April 2023, in unseren Kinos.

Roter Himmel; Deutschland 2023; Buch und Regie: Christian Petzold; Bildgestaltung: Hans Fromm bwk; Montage: Bettina Böhler; Darsteller*innen: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel, Enno Trebs, Matthias Brandt; Laufzeit ca. 103 Minuten; FSK: 12

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