Was ewig strahlt

Vor etwas mehr als 60 Jahren hielt die Kuba-Krise die Welt in Atem. Ost und West standen an der Schwelle eines atomaren Vernichtungskriegs und nur das umsichtige Handeln von US-Präsident John F. Kennedy sowie des Sowjetführers Nikita Chruschtschow haben die Welt vor diesem bewahrt, sie allerdings zuvor auch nicht so umsichtig dorthin manövriert.

Kein Jahr später, genau heute vor 60 Jahren, wurde dann der CTBT, der Vertrag zum Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, von diesen beiden Staaten sowie Großbritannien unterzeichnet. Was für viele heute eine Fußnote in der Geschichte sein mag, war damals angesichts der massiven nuklearen Bedrohung ein Meilenstein. Was nicht heißt, dass die nukleare Gefahr gebannt ist – im Gegenteil, denn wir haben die Atomdrohungen Putins noch in unseren Ohren.

Ein ambivalentes Element

Atombomben und auch die zivile Nutzung der Kernkraft basieren im Wesentlichen auf einem Element: Uran. Ohne Uran gäbe es weder Atomstrom noch Atombomben, aber auch manch eine Strahlentherapie wäre ohne sie nicht möglich. Es ist ein Element, das gleichzeitig großen Nutzen für die moderne Menschheit schafft, gleichwohl es ebenso eine große Bedrohung darstellt.

Welche Potentiale, aber vor allem welche Bedrohungen dies sind, arbeitet der Umweltjournalist Horst Hamm in seinem Buch Das unheimliche Element – Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung heraus. Das Buch ist unter Förderung der Nuclear Free Future Foundation als 15. Band der Reihe Stoffgeschichten im oekom Verlag erschienen und in der passenden Kategorie Zündstoff als Wissensbuch des Jahres 2023 nominiert.

Der Stoff der Moderne

Autor Horst Hamm // Foto: © Stella Lindner

Uran ist der Grundstoff aller radioaktiven Aktivitäten, denen wir Menschen uns so widmen. Wir kennen es seit 1789, dem Jahr der Französischen Revolution, das in der Geschichtswissenschaft oft als Beginn der Neueren Geschichte gilt. Auch wenn es eine zeitliche Koinzidenz sein mag, Uran als den Stoff der Moderne zu bezeichnen, ist damit nicht zu weit gegriffen. Dass Hamm mit der Entdeckung des Urans sowie der dennoch erst mehr als 200 Jahre später entdeckten Kernspaltung seine Ausführungen beginnt, erscheint folgerichtig und ist so informativ wie aufschlussreich.

Aufschlussreich und pionierhaft war auch die erste Forschung zu Radioaktivität und Kernspaltung. Wie groß die Euphorie der Anfangsjahre war, ist Hamms nächstes Thema. Besonders die Forschungen zur militärischen Nutzung – aktuell überaus plakativ in Christopher Nolans Film Oppenheimer in den Kinos zu sehen – dominierten in den ersten Jahren und sie werden bei Hamm selbstverständlich ausführlich behandelt.

Mehr als nur eine Waffe

Auch die zivilen Anwendungsmöglichkeiten von Uran oder seinen Zerfallsprodukten – ja, wir kauen hier gefühlt das halbe Periodensystem durch – sind mannigfaltig. Von der Energiegewinnung über medizinische Anwendungen bis hin zu Therapien in alpinen, strahlenden Stollen zeigt Hamm das Potential, das Radioaktivität in unserer modernen Gesellschaft hat, auf. Er illustriert aber auch an einem Fallbeispiel, welche Rolle der Uranbergbau im Niger spielt und wie vor allem die frühere Kolonialmacht Frankreich das Land bis heute teils ausbeutet. 

Angesichts des jüngsten Putsches in einem der, wenn nicht gar dem ärmsten Land der Welt und der unverhohlenen Freude des Kremls hierüber wird uns die gesamte geopolitische Dimension des Uranbergbaus bewusst. Wir alle wissen mittlerweile, wie Russland Gas und Öl als Waffe einsetzt, um Europa unter Druck zu setzen. Bei Horst Hamm gibt es aber noch eine Reihe weiterer Informationen rund um Uran und dessen Bedeutung, die uns in diesem Kontext noch eine ganz andere Dimension eröffnen und die besser kaum in die aktuelle Debatte passen könnten.

Das Ende ist nicht sehr nah

Ganz andere Dimensionen hat bei Hamm aber auch der wohl offensichtlichste Punkt: die Nutzung oder vielmehr das Ende der Nutzung der Kernenergie. Er legt überaus ausführlich und eindrücklich dar, wie und vor allem wieso wir – und damit ist die gesamte Menschheit gemeint – möglichst schnell aus der Kernenergie aussteigen sollten. Dabei geht es um die Gefahren der uranbasierten Atomkraft, um das Potential von Energien aus erneuerbaren Trägern, aber auch um das fast weltweit ungelöste Endlagerproblem. 

Nur Finnland baut aktuell an einem Endlager – alle anderen Staaten haben hierfür bisher keine Lösung gefunden und nein, tonnenweise radioaktives Material im Meer zu verklappen kann nicht die Lösung sein. Das hat selbstverständlich umweltpolitische Folgen, aber auch gesundheitliche, die Hamm sehr eindrücklich beschreibt. Leider driftet der Journalist, der auch Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der das Buch mitherausgebenden Nuclear Free Future Foundation ist, aber an einigen Stellen ein wenig ab und erläutert in nicht unwesentlichen Passagen seines Buchs, in großer Ausführlichkeit das Potential von erneuerbaren Energien im Vergleich zur Atomkraft.

Geschäftsbericht der Stiftung?

Das ist sachlich vermutlich vollkommen korrekt und ein netter und sinnvoller Exkurs, aber es hat mit dem eigentlichen Thema – die Bedeutung des Urans – nicht mehr viel zu tun. Dazu kommt, dass wir in großer Regelmäßigkeit über die Arbeit der besagten Stiftung informiert werden und über die rund 240 Seiten hinweg nicht nur gefühlt die Hälfte der Preisträgerinnen und Preisträger des von ihr ausgelobten Nuclear Free Future Awards kennenlernen.

Ja, es ist transparent, dass die Stiftung dieses Buch mitherausgibt und somit ist es auch legitim, über ihre Arbeit zu informieren. An manchen Stellen liest es sich jedoch wie eine Art Chronik dieser Stiftung und ihrer Aktivitäten. Und das beeinflusst eben auch die Themen und Perspektiven, die Horst Hamm beleuchtet.

Die Augen, auch wenn es blendet, offenhalten

Es gibt nämlich Aspekte, die hier durchaus auch Erwähnung hätten finden können, jedoch seitens des Autoren darauf verzichtet wurde. Dass es mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA beispielsweise eine (zugegeben: weitgehend zahnlose) internationale Organisation gibt, die die friedliche zivile Nutzung der Kernenergie überwachen soll, wird zum Beispiel weitgehend ausgespart.

Oder dass es in der Politik- und Militärwissenschaft eine ausführliche Debatte zur Nutzung und Proliferation von Nuklearwaffen gab und gibt und wie vor allem das Prinzip der nuklearen Abschreckung funktioniert. Hier hätte Horst Hamm auch politische, strategische und gesellschaftliche Erwägungen erläutern können und vielleicht auch sollen und so auch diese Perspektiven einer ausgewogenen Betrachtung unterziehen können.

Kernkraft zementiert

All das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der Kernkraft und dem Uran als ihrem Ausgangsstoff wesentliche Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen. Radioaktive Prozesse und Kettenreaktionen sind, so sie einmal in Gang gesetzt sind, nur bedingt kontrollierbar und somit eine Gefahr für uns alle. Die Endlagerfrage ist weltweit fast überall ungelöst. Der Abbau von Uran ist ein schwerwiegender Eingriff in die Natur und zumeist auch die Rechte vieler Menschen, vor allem Indigener.

Und wo noch immer in Atomkraft investiert wird, werden alte Strukturen buchstäblich zementiert und Mittel für eine Zukunft der erneuerbaren Energien anderweitig verbraucht. All das und noch viel mehr erläutert Horst Hamm nicht nur, aber auch im Lichte von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine in seinem Buch Das unheimliche Element mit großer Präzision und Informationsdichte und das macht es trotz mancher Ausreißer zu einer vielleicht etwas speziellen, aber auf jeden Fall aufschlussreichen Lektüre zur Allgemein- und Meinungsbildung.

HMS

Das unheimliche Element – Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung ist in der Kategorie „Zündstoff“ als Wissensbuch des Jahres 2023 nominiert. Der Preis wird in diesem Jahr bereits zum 30. Mal vom Magazin bild der wissenschaft verliehen. Bis zum 14. August 2023 könnt auch ihr hier abstimmen. Eine Übersicht aller Nominierten sowie zur Jury und weitere Infos findet ihr auf dem feinen Sachbuch-Blog Elementares Lesen von Petra Wiemann; das Ergebnis wird im Dezember-Heft von bild der wissenschaft sowie auf wissenschaft.de bekannt gegeben.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Horst Hamm: Das unheimliche Element – Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung; April 2023; Softcover; 240 Seiten; ISBN 978-3-98726-000-1; oekom Verlag; 22,00 €

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