Wenn Fakten keine Rolle mehr spielen

Neues und Altbekanntes aus der trans*feindlichen Giftküche und was der jüngste Amoklauf in Nashville damit zu tun hat.

Von Nora Eckert

Sechs Menschen kamen bei einem Amoklauf Ende März in einer Schule in Nashville in den USA ums Leben. Die Tat wurde von einer Person verübt, die in den Medien als Transgender bezeichnet wird. In einem kurzen Bericht für die New York Times vom 28. März geht Adeel Hassan der Frage nach: What do we know about the shooter? Seine Antwort:

„Nach der Schießerei herrschte Verwirrung über die Geschlechtsidentität des Schützen. Chief Drake sagte, der Schütze habe sich als Transgender identifiziert, und die Beamten verwendeten ‚sie‘ und ‚ihr‘, um sich auf den Angreifer zu beziehen. Einem Social-Media-Post und einem LinkedIn-Profil zufolge schien sich der Schütze in den letzten Monaten jedoch als männlich zu identifizieren.“

Es geht mir hier nicht um die Tat und deren Motive und schon gar nicht darum, mich an den Spekulationen zu beteiligen, denn eines ist klar: Mord ist Mord. Die Tat war wohl über Monate hin geplant worden und steht möglicherweise auch im Zusammenhang mit dem Konsum gewaltverherrlichender Videos (sicherlich kein neuer Aspekt bei diesem Thema). Und möglich wurde sie nicht zuletzt durch den leichten Zugang zu einem riesigen Arsenal an Waffen. Prekär jedoch, was sich in den USA medial aus dem Amoklauf sofort entwickelte.

Denn das Stichwort Transgender wurde zum Auslöser für eine hysterisch anmutende Reaktion der politisch Rechten. Die Instrumentalisierung ist so offensichtlich und erinnert im Übrigen an all die trans*feindlichen Narrative, die aktuell auch bei uns insbesondere im Zusammenhang mit dem von der Ampelkoalition geplanten Selbstbestimmungsgesetz eine fatale Rolle spielen. Die darin angewandte Rhetorik ist eine der Übertreibung und Verdrehung von Tatsachen – im Fall der Reaktionen in den USA noch um ein Vielfaches gesteigert.

Das trans*feindliche Klima in den USA und auch in Großbritannien hat sich in den letzten Jahren verstärkt und beherrscht mittlerweile den Alltag dort. Shon Faye hatte das in ihrem Buch Die Transgender-Frage am Beispiel Großbritannien ebenso eindringlich wie erschreckend und beängstigend beschrieben und durch zahllose Belege dokumentiert. Aber auch wir kennen die schrillen Töne der „Vereinigten Reaktionäre“, auf die beispielsweise Gruppen wie „Demo für Alle“, „FrauenAktionsBündnis“, „Lasst Frauen sprechen“, dazu Rechtsextreme jeglicher Provenienz, AfD und auch die EMMA-Redaktion abonniert sind. Ja, auch der genderkritische Feminismus beliefert die trans*feindlichen Diskurse und macht sich argumentativ gemein mit reaktionären und rechtsextremen Gruppen – und nicht erst seit heute. Die Richtung ist überall die gleiche und sie unterscheidet sich nur graduell: Die Diffamierung von trans*Personen als Bedrohung und als Gewalttäter*innen. Wie kommen Menschen zu solchen Horrorphantasien? Welche Psychologie könnte uns das erklären? Die Realität tut es jedenfalls nicht.

Und nun also die Nachricht als Worst Case, dass eine trans*Person sechs Menschen getötet hat. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. April berichtet David Signer aus Chicago ausführlich über die Reaktionen. Vorangestellt ist dem Artikel das Zitat „Epidemie von nonbinären und Trans-Amokschützen“, das von Donald Trump Jr. stammt, dem Sohn des ehemaligen US-Präsidenten: „Nach Gerüchten über die Geschlechtsidentität der Täterin beim jüngsten Schulmassaker wird in rechten Medien Hass gegen ‚Nonbinäre‘ geschürt“, so Signer, „die Aggression und die Flut an neuen Gesetzen spiegeln die Spaltung der Gesellschaft gegenüber Transgendern.“

Dabei haben die USA ganz klar ein Waffen-Problem. Behauptet wird indes eine zunehmende Gewalt durch trans*Menschen, so etwa bei Fox-News: „Wir werden Zeuge einer zunehmenden Trans-Gewalt“, zitiert Signer den Kommentator Tucker Carlson. Natürlich meldete sich auch Ex-Präsident Donald Trump zu Wort und unterstellt einen Zusammenhang von Hormontherapie und durch sie ausgelöste Aggressionen. Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis, aber Trump kennen wir ja als Experten für Fake-News.

Der Kommentator und Autor Matt Walsh nannte die „Gender-Ideologie“ hasserfüllt und gewalttätig. Das war schon im letzten Jahr auch die Meinung von Ayaan Hirsi Ali, als sie in einem Interview für die Neue Zürcher Zeitung erklärte, neben häuslicher Gewalt, Tätlichkeiten und Vergewaltigungen sei das zweitgrößte Problem für Frauen der „Transgender-Aktivismus“. Unglaublich, aber so steht es in dem Interview. Beide Äußerungen enthalten eine absurde Verdrehung der Wirklichkeit, denn es sind immer wieder trans*Personen, die Opfer von Gewaltverbrechen werden. Signer nennt die Zahl von 38 Getöteten in den USA im Jahr 2022 und im Jahr zuvor waren es 50. Dass der behauptete Gewaltanstieg durch trans*Personen ebenso Fake ist, belegte die Washington Post durch nachweisbare Daten. Dazu Signer: „Von den fast 2700 Schusswaffenmassakern in der Statistik des Gun Violence Archive seit 2018 gibt es lediglich für 3 Hinweise, dass eine Transgender-Person verantwortlich war.“

Mit dem zunehmenden Einfluss extremistischer und trans*feindlicher Gruppen auf die öffentliche Meinung sind wir mittlerweile auch bei uns auf einem verdammt gefährlichen Weg. Umso dringender ist die Aufklärungsarbeit. Zwar bleiben jene Gruppen in ihrer ideologischen Verbohrtheit unerreichbar für die Wahrheit und so auch für die sozial, rechtlich und ökonomisch mehrheitlich negativen Fakten von trans*Lebenswirklichkeiten, aber der Mehrheitsgesellschaft müssen wir genau diese Wirklichkeit vermitteln. Denn Unwahrheit bleibt Unwahrheit, auch wenn sie als Teufel an die Wand gemalt wird.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverband Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

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