Mosambikanischer Staub aufgewirbelt

Mosambik im Südosten Afrikas gehört zu den Ländern, die den meisten Menschen hierzulande kaum im Bewusstsein sein dürften. Dabei ist es alles andere als ein Zwergstaat, sondern deutlich größer als Deutschland und entwickelt sich gerade im Norden seit einiger Zeit fast unbemerkt zu einem Hotspot des extremen Islamismus und einem Rückzugsgebiet des so genannten Islamischen Staats.

Daneben war es bis 1975 eine portugiesische Kolonie und diese Ära prägt das Land bis heute. Die portugiesische Autorin Isabela Figueiredo verbrachte die ersten 13 Jahre ihres Lebens in der Kolonie und wurde in den Wehen der Unabhängigkeit zu ihrer Großmutter nach Portugal geschickt. Die Erinnerungen an ihre Jugend in der damaligen Kolonie und vor allem das Verhältnis zu ihrem Vater hat sie aber Jahre später niedergeschrieben und veröffentlicht.

Familienidyll in Mosambik

Ihr Buch Roter Staub – Mosambik am Ende der Kolonialzeit erschien 2019 in der deutschen Übersetzung von Markus Sahr im Weidle Verlag und beinhaltet ein wichtiges einordnendes Nachwort der Autorin und Journalistin Sophie Sumburane. Dass das Buch in der portugiesischen Originalfassung bis dahin in bereits fünf Auflagen erschien, unterstreicht die Brisanz der Problematik und den Erfolg, aber auch die Kontroverse, die Figueiredo mit Roter Staub auslöste.

Die Autorin verknüpft in ihrem Roman die Erinnerung an die Kolonialzeit mit dem Agieren ihrer Familie und schwerpunktmäßig ihres Vaters während der portugiesischen Herrschaft über das Land. Ihr Vater war in den 1950er-Jahren aus der ärmlichen portugiesischen Provinz in die Kolonie aufgebrochen, um dort ein besseres Leben zu suchen. Aus seiner Perspektive hat er es gefunden, denn wer Weiß war, war König in Mosambik. Dunkle Haut war automatisch ein Zeichen von „Minderwertigkeit“.

Buckeln nach oben, treten nach unten

Genau danach agierte ihr Vater offenbar. Er buckelte vermutlich nach oben und trat nach unten. Figueiredo beschreibt, mit welchem Respekt er „die“ Schwarzen behandelte: mit keinem. Sie waren für ihn scheinbar wertlos, nur ein Weißer Mensch schien es wert zu sein, Rechte zu genießen. Gewalt, Ausbeutung, sexueller Missbrauch standen auf der Tagesordnung – Kolonialismus „at its best“.

Figueiredo illustriert an ihrer eigenen Familiengeschichte und dem Verhalten ihres Vaters, wie das Leben in Mosambik zu jener Zeit war. Kleine „Anekdoten“ reihen sich aneinander, Begegnungen mit (Schwarzen) Nachbarsjungen, Zahltag in der Elektrikerfirma ihres Vaters, Begegnungen mit Schwarzen auf der Straße oder die Suche nach nicht zur Arbeit erschienenen Sklaven, äh Angestellten (und selbstverständlich deren Malträtierung).

Traurige und schaurige Kolonialherrschaft

Als sich die Situation in Mosambik ob des Befreiungskampfs zuspitzt, schicken Figueiredos Eltern sie ins ländliche Portugal, wo sie bei ihrer Großmutter in relativer Armut wohnt. Ihr Vater beauftragt sie, dort zu erzählen, wie schlecht es den Weißen in Mosambik gehe. Figueiredo denkt nicht daran, denn sie erkennt trotz ihren lediglich 13 Jahren, welches Unrecht den Schwarzen angetan wurde und wird. Offen sagen kann sie es nicht, denn sie als „retornada“ (Rückkehrerin) genießt kein sehr hohes Ansehen in Portugal. Und mit ihrem Vater kann sie dies auch nicht besprechen, denn er scheint sein Unrecht nicht zu erkennen. Roter Staub erschien daher erst 2009 – nach dem Tod des Vaters.

Isabela Figueiredos Roman ist somit die traurige und schaurige Geschichte einer nicht ganz so sanften Kolonialherrschaft. Es ist wichtig, dass jemand über diese Epoche schreibt und klarmacht, dass und welches Unrecht im kolonialen Zeitalter angerichtet wurde. Offenster Rassismus, Frauenhass, koloniale Überlegenheit waren in jener Zeit selbstverständlich, sogar erwünscht. Hierüber noch heute zu sprechen, ist im Sinne einer Aufarbeitung und der Übernahme von Verantwortung von allergrößter Bedeutung, was auch Sophie Sumburane in ihrem Nachwort sehr gut erläutert.

Achtung: derbste Sprache!

Roter Staub ist auch deshalb so eindrücklich, weil Figueiredo wirklich keine falsche Scheu oder Bescheidenheit an den Tag legt und mit größter Klarheit schreibt und dies wird von Markus Sahr auch in die deutsche Übersetzung übertragen. Dazu gehört einerseits eine extrem derbe Sprache, die vermutlich viele verletzen dürfte – auch das N-Wort oder das misogyne F-Wort (wie auch das „normale“ F-Wort) finden sich in großer Regelmäßigkeit wieder. Manche, nein viele, dürfte das schockieren, aber leider passt es in diesem Kontext sehr gut, um die ganze Grässlichkeit der Situation zu beschreiben.

Aber auch sich und ihre Familie schont Figueiredo nicht. Mit ihrem Vater geht sie zwar nicht unmittelbar ins Gericht, setzt seine Aussagen und Verhaltensweisen eher in den Kontext der damaligen Zeit. Und dennoch wird nichts beschönigt, nichts relativiert und das dürfte keine leichte Erfahrung gewesen sein. Anders als beispielsweise Alem Grabovac, Monika Helfer oder Christian Kracht, die gleichsam recht schonungslos ihre Familiengeschichten aufarbeiten, geht Figueiredos Buch noch einmal ganz anders mit der Vergangenheit der Eltern und vor allem des Vaters um.

Keine Wohlfühlliteratur –es gibt auch keinen Grund dafür

Roter Staub ist somit die persönliche Auseinandersetzung einer Weißen Frau mit der kolonialen Vergangenheit der eigenen Familie – wie auch des ganzen Landes. Das ist alles andere als Wohlfühlliteratur, aber von enormer Bedeutung für den Diskurs und den Umgang mit der Vergangenheit, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aufziehenden chinesischen Neokolonialismus oder den Tiraden eines Wladimir Putin, der einem ganzen Nachbarland die Staatlichkeit abspricht und es nun zu unterjochen versucht.

Die Probleme, vor denen Mosambik auch heute steht sind groß: Armut, Islamismus, Klimawandel – Mosambik ist eines der Länder, das am stärksten vom Klimawandel betroffen ist und der Zyklon Idai war vermutlich erst ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Ähnlich wie Theresa Leisgang und Raphael Thelen aber schreiben, wird das Land sich dem nur wappnen können, wenn die Vergangenheit und viele der von Isabela Figueiredo illustrierten Probleme aufgearbeitet werden. Ihr Buch legt hierfür einen wichtigen Grundstein und sollte daher trotz aller Klarheit und Härte in der Sprache breit rezipiert werden.

HMS

Isabela Figueiredo: Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit; 1. Auflage, Oktober 2019; Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr; Nachwort von Sophie Sumburane; Broschur, Fadenheftung; 172 Seiten; ISBN: 978-3-938803-94-3; Weidle Verlag; 23,00 €

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