Zwei Mal Siebzehn ist gleich Freiheit

Kürzlich schrieben wir über den dänischen Coming-of-Age-Streifen Speed Walking, dass es „gerade das Nicht-Geschehen [ist], das so vieles hervortreten lässt“. Ähnliches kann auch über den ebenfalls im Jahr 2014 entstandenen litauischfranzösischniederländischen Film Der Sommer von Sangailé von Alanté Kavaïté gesagt beziehungsweise geschrieben werden. Zu sehen ist dieser, im Verleih von Salzgeber, morgen Abend im Rahmen von BR QUEER — und zu sehen gibt es in dem lesbischen Semi-Coming-of-Age-Film einiges. Zu hören dafür nicht so vieles.  

Gegensätze ziehen sich an und aus

Wobei das auch nur so halb stimmt. Wir hören, während wir der 17-jährigen Sangailé (sehr gut: Julija Steponaityte) folgen, diverse Umgebungsgeräusche. Und seien es nur die eines Kraftwerks, das sie beeindruckend findet. Hier arbeitet während der Ferien Auste (klasse: Aiste Diržiute), die Sangailé zuvor auf einer Flugshow kennengelernt hat. Diese ist nämlich begeistert vom Fliegen und träumt davon, eines Tages Pilotin zu werden (auch wenn sie ihrer Mutter auf die Frage, was sie später machen wolle, erst einmal mit „Hure“ antwortet), hat jedoch dummerweise Angst vorm Fliegen aka Höhenangst. 

Höhenangst geheilt? Auste und Sangailé // © Salzgeber

Da kommt die selbstsichere und etwas unangepasste Auste gerade recht — und sie versteht Sangailé, ihre Ängste und ihren Frust über ihre zwar wohlhabenden, aber auch recht schweigsam-speziellen Eltern (irgendwo muss Sangailé das ja herhaben). Die beiden Mädchen freunden sich schnell an. Die kreative Auste macht Fotos von Sangailé und es dauert nicht lang, da werden aus den Freundinnen Geliebte.

Lethargie in teils beeindruckenden Bildern 

Das mit dem „nicht lang“ allerdings ist relativ, was bei einer Laufzeit von nicht einmal neunzig Minuten erstaunen mag. Es kommt wohl ganz auf die Sehgewohnheiten der Zuschauer*innen an. Denn wenn „zuletzt“ ein Film das Prädikat „poetisch“ verdient hat, ist es definitiv Alanté Kavaïtés Der Sommer von Sangailé. So poetisch gar, dass es an mancher Stelle beinahe Stillstand bedeutet… an anderer hingegen, so jedenfalls in der Wahrnehmung des Rezensenten, eine gewisse prätentiöse Nabelschau. 

Bilder mit Wirkkraft // © Salzgeber

Die Auszeichnung mit dem Preis für die beste Regie auf dem Sundance-Filmfestival 2015 hingegen bescheinigt, dass andere das anders sehen mögen. Und durchaus gibt es famos inszenierte Momente und Bilder (Kamera: Dominique Colin), die den geneigten Zuschauer*innen in Erinnerung bleiben werden. Mensch muss jedoch den, zugegeben perfekt zu Sangailés vorrangiger Gemütslage passenden, dezent lethargischen Erzählton mögen. 

Wer jedoch Filme schätzt, die definitiv als Kunst durchgehen würden und sich einer klassischen Struktur ebenso entziehen wie jedem nicht vollkommen nötigen Satz, die oder der wird diesem lichtdurchfluteten Sommer von Sangailé, der zwischen Schwermut und Leichtigkeit, Romanze und Emanzipationserzählung changiert, einiges abgewinnen können.

AS

Der Sommer von Sangailé wird im Rahmen von BR QUEER am Donnerstag, 20. Juli 2023, um 23:15 Uhr im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt und ist anschließend für 14 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Der Sommer von Sangailé; Litauen, Frankreich, Niederlande 2014; Buch und Regie: Alanté Kavaïté; Kamera: Dominique Colin; Musik: Jean-Benoît Dunckel; Darsteller*innen: Julija Steponaityte, Aiste Diržiute, Jurate Sodyte, Martynas Budraitis u. a.; Laufzeit ca. 88 Minuten; FSK: 12; litauische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

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