Auch wenn Beijing sich nach Kräften bemüht, die Zustände in seinen Gefänginssen und Arbeitslagern (Verzeihung: Umerziehungslagern) nicht zu sehr an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, es dürfte allgemein bekannt sein, dass diese alles andere als christlich sind, wie es so schön heißt. Oder auch muslimisch, wenn wir von der Minderheit der Uiguren sprechen, die in „Trainingsanstalten“ geschickt werden. Aha…
Die Volksrepublik China gehört zu den größten Sündern in Bezug auf Umweltverschmutzung, Menschenrechte oder Pressefreiheit, die diese Welt zu bieten hat. Daran gibt es nichts zu deuten, auch wenn wir uns oft genug entscheiden, doch wegzusehen, denn das ist ja unangenehm. Der chinesische Freiheitskämpfer Liao Yiwu – das Regime bezeichnet ihn als „Dissidenten“ – ist einer der bekanntesten Kritiker der Kaste, die China mit harter Hand regiert.
Zukunft, Repression und Fragmente
Viele seiner Schriften sind hierzulande erschienen – überwiegend im S. Fischer Verlag. Vor ziemlich genau einem Jahr, am 18. Januar 2023, hielt er nach Daniel Kehlmann die zweite Stuttgarter Zukunftsrede, deren Aufzeichnung in der Übersetzung von Brigitte Höhenrieder und Hans Peter Hoffmann unter dem Titel Unsichtbare Kriegsführung – Wie ein Buch ein Imperium bezwingt bei Klett-Cotta erschienen ist.
Liao setzt sich in seiner Rede mit den Machtspielen und der Repression des chinesischen Regimes auseinander. Anfangs erläutert er seine Zeit in einem Gefangenenlager und wie er es vor etwa 30 Jahren schaffte trotz strenger Überwachung ein ganzes Buch in vielen Fragmenten aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Nach der Entlassung folgten Repression gegen ihn, eine erneute Gefangennahme und 2011 schließlich seine Ausreise.
Im Berliner Exil erschienen schließlich weitere Werke des Autoren – nicht ohne die Repression auch bis hierhin zu spüren. Hierüber schreibt Liao ebenso wie über die heutige Situation in China, soweit diese aus dem Exil zu beurteilen ist. Besonders das Verhalten Beijings während der Pandemie – Vertuschung, Überwachung, Leugnung – adressiert Liao in größer Ausführlichkeit.
Nicht nur mundtot
Liao Yiwu stellt hier sehr kompakt die ganze Maschinerie der Unterdrückung vor, die die Kommunistische Partei in Beijing gegen ihr eigenes Volk einsetzt. Es geht um unhaltbare Zustände in den Gefängnissen, Folter und Unterdrückung ebenso wie um die staatliche Zensur (und manche Wege darum herum). Es wird klar, dass die Repression des Regimes brutal und totalitär ist und „Regimegegner“ teils nicht nur mundtot gemacht werden sollen.
Die Überwachung hat sich in jeden Winkel des Alltags eingeschlichen und die Pandemiebekämpfung bot der Führung in Beijing die beste Entschuldigung, um die staatliche Kontrolle aller Menschen in China noch mehr zu perfektionieren. Wie gut das in den ersten Tagen der Pandemie funktionierte, konnten wir bereits in Fang Fangs Wuhan Diary nachlesen, Liao Yiwu jedoch liefert ein deutlich größeres Bild, das auch bis in die Zeit Ende 2022 reicht, als China als eines der letzten Länder seine Null-Covid-Politik aufgab und die Menschen reihenweise dem Virus anheimfielen – für viele, viele Menschen sollte es das letzte Mal gewesen sein.
Ein aufwühlendes Privileg
Was der Preisträger des Geschwister-Scholl-Preises und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hier auf etwa 100 Seiten zusammengestellt hat, ist eigentlich nichts Neues. Zumindest nicht für diejenigen, die sich bereits mit dem Vorgehen des Regimes in Beijing gegen das eigene Volk auseinandergesetzt haben.
Und dennoch ist es immer wieder erschreckend, welche Unterdrückung Xi Jinping und Maos Erben ihrem Volk zumuten. Unsichtbare Kriegsführung ist die Aufzeichnung dessen, vor dem wir im Westen allzu gerne unsere Augen verschließen. Es hier noch einmal nachlesen zu können, ist bemerkenswert und aufwühlend. Dass wir es überhaupt lesen können, ist aber ein Privileg, dessen wir uns viel zu wenig bewusst sind.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Liao Yiwu: Unsichtbare Kriegsführung. Stuttgarter Zukunftsrede #2; März 2023; Aus dem Chinesischen und Englischen vonBrigitte Höhenrieder; 112 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN: 978-3-608-98734-8; Klett-Cotta; 16,00 €
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