Besinnliches Chaos bei Barands

Beitragsbild: Nicht auf den Mund gefallen: Mit ihrer schroffen Art sorgt Jeanne (Danielle Fichaud) bei Vincent (Franck Dubosc) nicht gerade für Festtagsstimmung // © Splendid Film

„Weihnachten ist kein romantisches Fest. Weihnachten ist ein Fest der Familie“, sagt Vincent Barand (Franck Dubosc, Die Rumba-Therapie) zu seiner Frau Béatrice (elegant, selbst bei Verzweiflung: Emmanuelle Devos), nachdem auch das letzte ihrer drei Kinder das Weihnachtsfest daheim gecancelt hat. Während Béatrice sich freut, Weihnachten womöglich allein mit ihrem Ehemann zu verbringen, den Truthahn wieder in den Tiefkühler verbannt und stattdessen Wolfsbarsch mit Trüffeln plant, schmeißt ein bockiger Vincent den Weihnachtsbaum aus dem Haus.

Das sorgt nicht nur bei seiner Frau sondern sicherlich ebenso bei den Zuschauer*innen für Irritationen: Hat er etwa Angst, das unromantische Fest der Nächstenliebe allein mit seiner Gattin zu verbringen? Apropos Nächstenliebe: Hier weiß die Weihnachtspredigt des Pfarrers Abhilfe zu verschaffen. Holt euch, ihr kleinen fröstelnden Schäfchen, doch eine Person ins Haus, die an diesem Tag sonst allein wäre. Und schon kommt der seine Nächsten – ob ihm bekannt oder fremd – total liebende Vincent auf die Idee, jemandem aus einem Altenheim ins eigene Heim einzuladen… Dies eher zum Verdruss Béatrices, die jedoch meint, „Nein“ sagen können sie wohl schlecht.

Die richtige Renterin zu finden, will gelernt sein

Nach diversen fehlgeschlagenen Versuchen („Es ist einfacher ein Kind zu adoptieren.“) tut Vincent ein Altenheim – hinterm Industriegebiet – auf, das ihm eine ihrer Bewohnerinnen „ausleihen“ würde. Während Béatrice besorgt ist, eine speiende, übel riechende, inkontinente Alte zu bekommen, meint Vincent, er achte schon darauf, dass sie kein Auslaufmodell bekämen. Böser Witz, wunderbar. Von der charmanten, rüstigen und dem Alkohol auch in Parfumform nicht abgeneigten („Die Flasche war irreführend.“) Monique (wunderbar: Danièle Lebrun) sind beide zunächst angetan.

Festlich eingekleidet: Monique (Danièle Lebrun) und Jeanne (Danielle Fichaud) möchten am heiligen Abend auch optisch was hermachen – und plündern dafür kurzerhand den Kleiderschrank der Barands // © Splendid Film

Doch irgendwie redet sie sehr viel vom Tod („Ein Vormane, ein Toter.“) und schätzt Béatrice älter, als sie es eigentlich ist. Als dann noch ihre beste Freundin Jeanne (großartig: Danielle Fichaud) dazukommt, an allem rummäkelt und beinahe erstickt, ist das Weihnachtsfest fast perfekt. Also das chaotische, jeden festlichen Rahmen sprengende, derbe und flammende jedenfalls.

Von garstig bis hintersinnig

Dabei trifft der französische Autor und Regisseur Clément Michel von Anfang an den richtigen Ton und weiß die Eskalationsstufen gekonnt zu steigern, uns zwischendurch mal eine kleine Pause zu gönen, um direkt den nächsten Lachanfall zu generieren. In Fast perfekte Weihnachten sind sowohl das Timing des Drehbuchs als auch das des vierköpfigen Ensembles nahezu durchgehend perfekt. Auch das Ausrasten der komplexen und rüstigen Rentnerinnen ergibt Sinn, schließlich haben sie wohl nicht allzu oft Ausgang aus ihrem Altenheim.

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen: Monique (Danièle Lebrun) heizt ihren Gastgebern unfreiwillig ganz schön ein // © Splendid Film

Hinter all dem Witz, viel Situationskomik und mancher Slapstick blitzen immer wieder zwar humorvoll vorgetragene, aber doch letzlich ernsthafte Themen auf. Sei es die Angst vorm Älterwerden, die vor allem den dezent bigotten Vincent umtreibt, die Sorge nicht mehr zu genügen, ein Generationenkonflikt, verpasste Chancen, ein Leben, das trotz aller Hindernisse und Verluste gelebt werden will oder mangelhafte Kommunikation.

„Jeanne, c‘est moi“

Dabei wirkt Fast perfekte Weihnachten, beschwingt gefilmt von Arnaud Stefani und passend musikalisch begleitet von Marc Chouarain, nie so, als wolle er uns eine Lektion in Sachen Verständnis, Nächstenliebe, etc. pp. aufoktroyieren. Ganz im Gegenteil entwickeln sich die tieferen Einblicke in die Figuren, ihr Innenleben und die aus dem Weihnachtsabend resultierenden Erkenntnisse beinahe organisch. Als etwa Jeanne von der mäkelnden (und für die besten Witze verantwortlichen) Urgewalt zu einer Art reflektierter Mutterfigur wird, haben sich Drehbuch und Schauspielerin diese Wandlung glaubwürdig erarbeitet.

Das Fest der Liebe: Beatrice (Emmanuelle Devos) und Vincent (Franck Dubosc) kommen sich im Rahmen ihres ungewöhnlichen Weihnachtsabends wieder näher // © Splendid Film

Heißt, der emotionale Teil des Films kommt hier nicht überzuckert als dringend gebrauchte Moral der Geschicht‘ daher. Nein, er berührt authentisch und bringt für die geneigten Zuschauer*innen womöglich tatsächlich den einen oder anderen brauchbaren Ratschlag mit sich. Fast perfekte Weihnachten ist ein herrlich heiterer, wunderbar chaotischer und berührend liebevoller fast perfekter (Weihnachts-)Film.

AS

PS: „Nie glücklich zu sein, um nie unglücklich zu sein. Das machte ich zu meinem Lebensmotto.“ Jo, passt.

PPS: Wer sich von manch sehr witziger Stelle überraschen lassen mag, sollte den Trailer gar nicht unbedingt schauen.

Fast perfekte Weihnachten ist seit dem 7. Dezember 2023 im Kino zu sehen.

Fast perfekte Weihnachten;Frankreich 2023; Buch und Regie: Clément Michel; Bildgestaltung: Arnaud Stefani; Musik: Marc Chouarain; Darsteller*innen: Franck Dubosc, Emmanuelle Devos, Danièle Lebrun, Danielle Fichaud; Laufzeit ca. 87 Minuten; FSK: 6

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert