„Wir sind eine Band. Eine Familie.“

„Du bist immer noch verdammt hübsch anzuschauen“, singt Kim Frank im Echt-Evergreen „Du trägst keine Liebe in dir“, erschienen am 19. August 1999 als Lead-Single des zweiten Echt-Albums „Freischwimmer“, das sich zwei Wochen auf der Nummer eins der Charts und 47 Wochen in den Top 100 halten wird. Ein Riesenerfolg also.

Echt mal anschauen…

Ob Kim Frank (Gesang), Kai Fischer (Gitarre), Andreas „Puffi“ Puffpaff (Bass), Florian „Flo“ Sump (Schlagzeug) und Gunnar Astrup (Keyboard) auch gut zwanzig Jahre nach Auflösung der nicht gecasteten Freundschafts-Band Echt verdammt hübsch anzuschauen sind? Das können Fans und Ex-Fans, Freund*innen von Musikdokumentationen oder Dokus im Allgemeinen, geneigte Zuschauer*innen und diese jungen Leute ab morgen früh 05:30 Uhr selber beurteilen.

Kim Frank vor den Tapes mit den Archivaufnahmen der Band // © SWR/Stephie Braun

Ab dann ist in der ARD-Mediathek die dreiteilige Dokumentation Echt – unsere Jugend verfügbar, die, erzählt von Kim Frank, aus 240 Stunden (!) Videomaterial zusammengefügt wurde. Das Besondere an dem Material: Es handelt sich primär um Aufnahmen, die mit der so genannten „Echt-Cam“ gemacht wurden. Mit dieser haben die fünf Jungs sich gegenseitig gefilmt beziehungsweise von Vertrauten (unter anderem einem VIVA-Redakteur) filmen lassen. Authentischer geht es quasi kaum.

Ergänzt wird das Ganze um einige TV-Ausschnitte und Interviews: damals und heute, jeweils in Grautönen. Das darf durchaus auch für manch einen Inhalt gelten. Für jene, die damals im richtigen Alter waren wie die Echten (also quasi etwa in deren Alter plus/minus fünf Jahre etwa), bedeuten die drei Stunden, den Jugendlichen noch einmal beim Jugendlichsein und Erwachsenwerden zuzusehen. Nur mit einem echten Blick hinter die Kulissen und manch reflektierender und reflektierter Einlassung vornehmlich Kim Franks. Und es bedeutet ebenfalls noch einmal auf die eigene Jugend schauen zu können (oder zu müssen, je nach Standpunkt)…

Echt mal reden…

Aber drei Stunden? DREI STUNDEN? Echt jetzt? (Sorry, aber von denen kommen echt noch einige.) Ja, echt. Und das trägt sich, sehen wir von manchen Redundanzen im über sechzig Minuten langen zweiten Teil „freischwimmer“ einmal ab, erstaunlich gut. Kommentiert wird das Ganze wie erwähnt von Kim Frank höchstselbst, aber wohl mit dem Segen seiner vormaligen Bandkollegen und Noch-Oder-Wieder-Freunde. So gab es etwa insbesondere zwischen ihm und Kai so manch tiefen Riss, letztlich wohl auch deswegen, weil sie aneinander vorbei oder gar nicht kommunizierten und die Depression des jeweils anderen nicht erkannten oder falsch deuteten.

Denn auch darum geht es in diesen drei Teilen viel: mentale Gesundheit. Die Tabuisierung von Depressionen und anderen Erkrankungen, vor allem noch Ende der 1990er und zu Beginn der Nullerjahre – nicht nur in der Musikbranche im Besonderen, sondern der Gesellschaft im Allgemeinen. Das ist ja auch wahr… Dass wir uns gegenseitig mit Mental-Health-Ratgebern bewerfen können und ein*e Jede*r in den sozialen Netzwerken über eigene Erfahrungen berichtet, ist noch nicht so lange der Fall.

Im schaumigen Hotel-Whirlpool // © SWR/Echt

Überhaupt scheint die Kommunikation unter den Freunden ein schwieriges Thema gewesen zu sein. Im Grunde teilten sie alles miteinander, redeteten offen (etwa beim nackten Whirlpool-Schaumbad über Wichserfahrungen – irgendwie klar, dass sie für den Keks-Wichs-Film Crazy mit Rio Reisers neu aufgelegtem „Junimond“ den Titelsong beisteuerten) über quasi jeden Scheiß. Nur irgendwie nie so recht darüber, wie es ihnen wirklich ging. Vielleicht fehlte einfach ein Markus Lanz, der mal nachhakt: „Wie geht es Ihnen damit?“

Echt mal nachdenken…

Neben solchen, vielen sicherlich aus dem eigenen Umfeld bekannten, Erkenntnissen gibt es reichlich zur Musik von Echt, den Entstehungs- und Verwertungsprozessen der drei Alben „Echt“, „Freischwimmer“ und „Recorder“, den jeweils ersten Lieben, somit natürlich auch zu der Beziehung von Sänger Kim Frank und der damals noch VIVA-Moderatorin Enie van de Meiklokjes, die auch in Bezug auf die Band beinahe wie eine Light Version von Yoko Ono und John Lennon präsentiert wird. Nicht nur hier driften die Kommentare Franks ins leicht Melodramatische ab.

Bandmitglieder: Gunnar Astrup, Florian Sump, Kim Frank, Kai Fischer, Andreas Puffpaff („Puffi“) // © SWR/Stephie Braun

Das kann mensch natürlich kritisieren und doch wirkt die „dokumentarische Coming-of-AgeTrilogie“, wie der neben ARD Kultur, MDR, NDR, rbb, BR und Radio Bremen beteiligte SWR die Reihe auf der Homepage nennt, dadurch noch echter. Oft wirkt es, als würden wir Kim Frank beim Lautdenken folgen. Was allerdings auch dazu führt, dass manch eine Einlassung ein wenig unfertig daherkommt, wie ein loser Faden in der Luft baumelt oder auch mal zu Widersprüchen und gegebenenfalls gar Unverständnis führt. Das erinnert dann an Robert Habeck, aber der ist ja ebenfalls in Flensburg.

Echt mal cool bleiben…

So bemüht sich die Band anfangs in alle Shows, zu allen Auftritten und in jedes Interview zu gehen, schließlich brauche sie die Öffentlichkeit. Und doch immer die Klage: Die „coolen“ (Trinkspiel für Teil eins: Immer wenn „cool“ gesagt wird, saufen – läuft) und „seriösen“ Sendungen und Publikationen wollten sie nicht. Dabei waren sie aber bei VIVA, in der BRAVO, nicht lange und es ging zu Top of the Pops und The Dome, gar in den ZDF Fernsehgarten und zu Wetten dass…?! (Diesen Samstag zeigt das ZDF übrigens die vermutlich denitiv und eventuell auf jeden Fall letzte Folge… mit Thomas „Haribo“ Gottschalk). Das waren aber damals doch die coolen und seriösen Sachen, zumindest in dem Business. Plus: Durch diese sehr unterschiedlichen Formate, hat ein Großteil Deutschlands Echt kennengelernt – viele Künstler*innen würden Ursula ihre Stimme geben, dürften sie nur einmal sowohl in der Bravo als auch im Fernsehgarten sein.

Backstage BRAVO Supershow 1999 (v.l.n.r. Flo, Kai, Gunnar) // © SWR/Echt

Sicherlich fehlte noch MTV oder der Musikexpress und Rolling Stone. Nun muss aber auch gesagt werden, dass die Band anfangs eben genügsamen Deutschpop machte, der sich klar durch die Stimme Franks und das Talent der nicht gecasteten, die Instrumente selbst spielenden Jungs auszeichnete. Aber David Bowie war‘s eben nicht. Und was wäre seriös gewesen? Die FAZ und ein Auftritt in der tagesschau? Wenn Musiker*innen sich über eine vermeintlich falsche Öffentlichkeit mokieren, wird‘s komisch.

Echt mal Finger weg…

Verständlicher schon, wenn Kim Frank in seinen Kommentaren bemängelt, dass manche der (da noch vorrangig) Mädchen, die zu den Echt-Konzerten kamen, kaum an der Musik, sondern nur an den Boys interessiert gewesen seien. Gemerkt habe er dies unter anderem daran, dass sie bei einer Ballade nicht hinhörten. Auch immerfort begrabbelt also quasi sexuell belästigt zu werden, störte ihn und seine Freundeskollegen zusehends. Verständlich.

Kim muss genäht werden nach Flaschenwurf auf Bühne, 1. Festival-Auftritt in Recklinghausen 1999 // © SWR/Echt

Es wird auch der Komplex „Hype“ thematisiert. Natürlich brauchten sie den, andererseits ist es schon doof, kaum mehr unerkannt irgendwo hingehen zu können und durch Fans sowie Hater beinahe gleichermaßen gefährdet zu sein. Also musste ein Top Bodyguard ran, der die fünf Jungs vor diesen und manches Mal sich selbst schützte. Ob es allerdings sein muss, auf einer Publikumsmesse wie der Popkomm keine Autogramme zu geben, sei dahingestellt.

Echt mal den Pimmel in der Shorts lassen…

Ein letzter Punkt noch, der auch in Echt – unsere Jugend sehr präsent ist, ist der so genannte „2010-Skandal“, als die Band (halb)nackt über die Reeperbahn rannte und dies als PR-Stunt nutzen wollte. Das ging mehr oder weniger nach hinten los, da die Zeitungen – speziell diese eine mit vier großen Buchstaben – ein Foto von Frank wählten, das ihn nach seinem Dafürhalten unvorteilhaft und vor allem Full Frontal Naked zeigt.

Es ist nachvollziehbar, dass er sich da in seinen Persönlichkeitsrechten angegriffen fühlt. Vereinbart war wohl etwas anderes. Doch zwei Dinge: Erstens können solche PR-Stunts immer, immer, immer nach hinten losgehen. Das Risiko gehört einkalkuliert. Zweitens wurde dennoch genau das erreicht, was Echt und deren Management (die drei Teile verdeutlichen übrigens auch, wie wichtig ein gutes Management ist) sich davon versprachen: Aufmerksamkeit auf allen Kanälen. Somit wirkt die sehr lang durch die Doku wabernde Beschwerde Kim Franks, es sei ein Skandal sondergleichen gewesen etwas… kompliziert. Auf der persönlichen Ebene verständlich, auf der professionellen weniger. Aufmerksamkeit, das Leben eines Popstars und Geld waren doch alles was er wollte. Büddeschön.

Echt mal lohnenswert…

So werden Zuschauer*innen neben einer Reise in die Vergangenheit (was es nicht alles nicht mehr gibt!) sicherlich einiges entdecken, das sie ein wenig verwundert auf den Bildschirm blicken lässt, wie auch eine Menge sehr interessanter, kluger und reflektierter Einlassungen Kim Franks und seiner Ex-Kollegen. Dies vor allem in der Abschlussfolge „stehengeblieben“, die auch eine indirekte Antwort darauf gibt, wie es zu dieser recht kurzweiligen Trilogie kam (und wir vermuten, dass es letztlich auch Corona gewesen sein dürfte, das die Fünf wieder als Truppe zusammengebracht hat).

Backstage ZDF Fernsehgarten 1999 (v.l.n.r. Flo, Puffi. Kim, Gunnar, Kai) // © SWR/Echt

Am Ende vergehen die drei teils sehr emotionalen Stunden zackig, auch für Nicht-Echt-Fans, zu denen ich mich zählen möchte. Ich mochte einige der Tracks, fand die Gruppe sympathisch, war aber eher Beobachter und wäre sicherlich auch nie auf ein Konzert der Band gegangen. Dass „die ehemaligen Bandmitglieder Kim, Flo, Kai, Gunnar und Puffi [sich] gefragt [haben], ob es ein Projekt gibt, das sie noch zusammen umsetzen möchten“ ist also eine feine Sache und gewährt Musikinteressierten einen spannenden Blick hinter die Kulissen von einem der zugegeben größten Musikphänomene, die es hierzulande in der jüngeren Geschichte gab.

AS

PS: Als die Band bei Top of the Pops ist, haben wir uns gefragt wo eigentlich Sabrina Setlur ist. Schon kam sie, noch als Sängerin, nicht als verpeilte Loyale.

Erwartungsgemäß ein Bestseller: MTViva liebt dich!

PPS: Apropos Enie van de Meiklokjes, VIVA und MTV: Bei ullstein extra ist kürzlich das Buch MTViva liebt dich! Die elektrisierende Geschichte des deutschen Musikfernsehens von Markus Kavka und Elmar Giglinger erschienen. Der Gesprächsband hält, was er verspricht und neben Enie treffen wir dort auch unter anderem auf Christian Ulmen und Nora Tschirner, Jan Köppen, Heike Makatsch, Judith Holofernes, Farin Urlaub, AnNa R. oder Lucy Diakovska. Eine Rezension folgt in Kürze und hier gibt es ein interessantes Gespräch mit Kavka und Giglinger in Lakonisch Elegant.

PPS: Die Einlassung von Kim Frank bei Harald Schmidt zu den Taliban („Ich weiß noch nicht mal, wo das liegt.“) im Lichte von 9/11 fand ich damals nicht wild und finde das auch heute noch ganz okay. Wenn dann hätte Schmidt kritisiert werden müssen, der Frank entegegen der Absprachen in die Richtung pushte. Übrigens: Eva Herman – kennste noch, kennste noch, kennste noch…?!

PPPS: „Leck meine Eier, du geile Cam!“

„Echt – unsere Jugend“ und Echt (Kai, Flo, Kim, Puffi und Gunnar) in aktuell // © SWR/Stephie Braun

Echt – unsere Jugend: Drei Folgen à ca. 60 Minuten, erzählt von Kim Frank; ab 23. November 2023, 05:30 Uhr in der ARD Mediathek.

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