Nein — es soll niemand über Bruno reden…

„Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Penis und Hoden kaum in Kinderbüchern besprochen werden? Bruno will hoch hinaus enttabuisiert spielerisch die Wissensvermittlung über den Intimbereich und unterstützt Kinder und Vorlesende, die richtigen Worte zu finden und ins Gespräch zu kommen. Die Autor:innen – Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger, Autor Flo Staffelmayr und Illustratorin Anna Horak – räumen in Bruno zudem gesellschaftliche Stereotype und toxische Männlichkeitsbilder aus dem Weg.“

Dies schreibt Elisabeth Katzensteiner, Gründerin der österreichischen Wolkenlos Agentur, in ihrer Aussendung zum genannten Buch. Was, total normal, zur Folge hatte, dass sich ein Literaturkritiker in den Sozialen Medien samt Screenshot der Aussendung über Buch, Thema und Ton ausließ. Unter seinem Post fanden sich diverse abschätzige, queer– und trans*feindliche Kommentare. Schließlich ist ja bekannt, dass aufklärende Bücher, die sich wider der Scham mit Körper und Körperkultur befassen, im Grunde lediglich dazu dienen, Kinder zu indoktrinieren. Sie zu geistig puffärmeligen Mimöschen ohne Eier im Höschen zu machen. 

…wo kämen wir denn hin, wenn… 

Da wünschen wir uns doch, in Ungarn zu leben, wo der aufrechte Antidemokrat mit autokratischem Schulterpolster Viktor Orbán sicher schon längst dafür gesorgt hätte, dass das zugewandte Bruno will hoch hinaus verboten würde. Oder so halb verboten, weil das mit der Zensur so hundertprozentig noch nicht klappen mag. Aber hey — wie alles im Leben braucht es eben Zeit, bis sich eine Demokratie zu einer gut funktionierenden Autokratie zu einer Rundum-Sorglos-Diktatur entwickelt. 

Sei’s drum. Fürs Erste müssen wir also noch damit leben, dem im Achse Verlag erschienenen Kinderbuch Bruno will hoch hinaus auf Augenhöhe zu begegnen. Das bedeutet durchaus eine gewisse Gefahr. Vor allem jene, dass sowohl jüngere wie auch ältere menschliche Tiere neben einer charmanten Geschichte um den Bau einer Rakete zusätzlich noch mit nützlichen Sachinformationen zu Anatomie, Körperpflege und -entwicklung, Geschlechtsausdruck et cetera versorgt werden. 

Die Macher*innen und der Achse Verlag verfolgen also ganz eindeutig eine Agenda. Nämlich solch eine, Eltern und Kindern das Werkzeug an die Hand zu geben, sich über oben Genanntes in weniger angespannter, ja eben ganz natürlicher Atmosphäre zu unterhalten. Sich dem gern verpönten Thema um den so genanten Intimbereich anzunähern. Ähnliches taten Autor Flo Staffelmayr und Verlag bereits mit dem Vorgängerwerk Lina, die Entdeckerin, in dem es — die entsetzt geneigten Leser*innen ahnen es — um Vulven ging. Wie schon in Rosie Haines Es ist doch schön, nackt zu sein… soll auch hier ein (Selbst-)Verständnis für den Körper und die Akzeptanz diverser Merkmale vermittelt werden.

…jede*r einfach sorgfältig aufgeklärt würde,… 

Für Kinder liegt die eindeutige Gefahr des Buches vor allem in den ansprechenden und detailverliebten Zeichnungen Anna Horaks, die durch einen farbenfrohen Wachsstift-Stil darauf angelegt sind, sofort Freude auszulösen. Dieser sinistre Plan geht auf. Vor allem auch, weil sie nicht zu glatt daherkommen, nicht aussehen, als hätte sie ein Computerprogramm ausgespuckt. Darüber hinaus ist Brunos Vater ein Stay-At-Home-Dad, während die Mutter arbeitet. Ähnlich wie schon das im Leykam Verlag erschienene Jugendbuch Selma, Küsse, Kuddelmuddel wird hier also vollkommen die wunderbare Realität von Heimchen am Herd verklärt, um Kindern weißzumachen, es seien nicht die cis-männlichen Väter, die für die Familie zu sorgen hätten. Frechheit.

Das (Um-)Erziehungskonzept dieses aufrichtig lehrreichen Buches wird im Folgenden konsequent fortgesetzt. Neben Textteilen, die die Geschichte eines — für das arme Kind viel zu aufwühlenden — Tages erzählen, finden sich durch eine gesonderte Schriftart abgehobene Informationen der Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger. In diesen lässt sich erfahren, dass der Penis so einzigartig ist wie die Zehen (also auch noch Fußfetischismus!), die Augen, … Hierbei wird auch erwähnt, dass Menschen, die mit einem Penis zur Welt kommen, als Junge bezeichnet werden. Was zumeist stimme, aber eben nicht für alle. Manche fühlten „sich als Mädchen, manche irgendwie dazwischen oder als keines von beidem.“ (Nun mal *ironie off*: Dass das Wort „fühlen“ in dem Zusammenhang ein zweischneidiges Schwert ist, soll hier nicht verschwiegen werden. Gerade in diesem Punkt ist die Differenz von „fühlen“ und „wissen“ essenziell; von Trans*Feind*innen et al. wird gern das „Fühlen“ verwendet, um die Lebenswirklichkeit von trans*-, inter*– und nicht-binären Personen zu negieren und schließlich biologistisch zu argumentieren.)

…dabei noch nach- und mitdenken müsste und… 

Diverse, mit assoziativen Illustrationen versehene, Begriffe für den Penis werden aufgebracht; die Anatomie desselben wird in Schrift- und Bildform erläutert — dies später auch in Form eines gezeichnet anatomischen Modells zum Thema Erektion. Dazu erklärt ihm der unrasierte Vater, dass es völlig normal wäre, sich in ungestörter Umgebung selbst zu berühren. In Florida würden die Macher*innen dieses pornografischen Werks mindestens verklagt; in Schulen verboten wäre es sowieso. Es wird angeraten, den Penis nach dem Urinieren abzutupfen. Wohl auch, um die letzten animalischen Triebe aus den Männern zu spülen. 

Im Folgenden geht es noch um mehr Anatomie, es werden verschiedenen Personen in diversen Entwicklungsstadien gezeigt. So auch ein mit Tattoos übersäter Taugenichts-Hipster und ein Mann mit Brüsten. Schlimm! Schlimm ist das. Keine Werte mehr (dabei ist Österreich doch so viel näher an Ungarn und da ham’s doch auch den Kickl Herbert…). Natürlich baut Bruno auch mit Hilfe einer Frau (!) und weniger seines Vaters die Rakete (natürlich samt Regebogensticker) fertig und erlebt was Tolles. Berechnungen, wie das funktionieren soll, sehen wir nicht. Das ist doch alles völlig unrealistisch!

…womöglich gar Freude hätte?!

Realistisch hingegen ist, dass Bruno will hoch hinaus das von Sabine Ziegelwanger ausgemachte Ziel, „Kinder darin [zu] unterstützen, ein liebevolles und neugieriges Körperbewusstsein zu entwickeln und sie [zu] ermutigen, stets ihren Träumen zu folgen,“ erreicht werden dürfte. Ei der Daus — wem kommt bitte sowas ins Haus? 

Nun, vermutlich Eltern, denen daran gelegen ist, einen offenen Austausch mit ihren Kindern zu kultivieren. Die nicht selber vor Scham im Boden versinken, wenn im Bus mal jemand das Wort „Schwanz“ benutzt und dabei nicht auf Herrn Hebemaiers Dackel Alfred Bezug nimmt. Jene Erziehenden, die Wert darauf legen, dass ihre Kinder wissen, was und wie ihr Körper ist — oder vielleicht auch nach Ausdrucksformen suchen, um eben zu sagen, dass hier etwas nicht so ist wie es sein sollte. 

Das Anliegen des Buches kann nicht hoch genug geschätzt werden. Wer glaubt sich echauffieren zu müssen, sobald in einem Mailing (und im Vorwort) von „gesellschaftlichen Stereotypen und toxischen Männlichkeitsbildern“ die Rede ist, dem ist doch die Nudel verkocht. Allen anderen sei Bruno will hoch hinaus unbedingt ans Herz gelegt.

AS

PS: Ein „Glitzer für Alle“-Plakat im Zimmer… Aus Bruno kann ja nichts werden.

Sabine Ziegelwanger, Flo Staffelmayr, Anna Horak: Bruno will hoch hinaus; Juni 2022; 32 Seiten, vollfarbig; Hardcover; Format: 22,0 x 28,0 cm; ISBN: 978-3-903408-01-2; Achse Verlag; 22,00 €

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