Der Nibellenenstern

Pure Mystik gleich zu Beginn – ein Mann schaufelt, ein Schuss fällt, Heino Ferchs sonore Stimme führt uns mit kryptisch-lyrischen Worten in die Geschichte, tritt als Erzähler auf, gibt dem Gesehenen einen mythisch aufgeladenen Hintergrund. Doch, ganz wie bei Shakespeare, soll Ferch nicht nur Erzähler sondern als Dr. Albrecht Dürr auch Protagonist der Geschichte Gold sein.

Ein Schatz, sie zu unterhalten

Ist dieser Dr. Dürr doch der Leiter des Nibelungenmuseums zu Worms, der nebenher eine große Affinität zum Schatz der Nibelungen und allem Gold hegt. Was ihn in diesem, im, nach dem Verschwinden und vermeintlichen Mord an Bankfilialleiter Boris Wolter, nicht mehr ganz so beschaulichen Pfälzer Weinort Deidesheim spielenden Ludwigshafener Tatort zu einer Figur macht, die zweierlei verkörpert: Einen dringend benötigten Experten sowie einen Verdächtigen.

Antiquitätenhändlerin Marie Bernard (Marie Bonnet) is zu vielem bereit, um den wertvollen alten Schmuck in ihre Hände zu bekommen // © SWR/Christian Koch

Denn schnell finden Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) in ihren Ermittlungen vor Ort heraus, dass sich der Verschwundene in seiner Freizeit leidenschaftlich gern Ritterspielen und der Suche nach dem Nibelungen-Gold widmete. Und scheinbar wird davon etwas im Kofferraum Wolters gefunden…

Experimentelle Mischung

…so die Ausgangslage im ersten Tatort der neuen Saison (nachdem es in der vergangenen Woche mit einem mal wieder beeindruckenden Brasch-Polizeiruf losging). Der von Fred Breinersdorfer und Katja Röder geschriebene und von Esther Wenger inszenierte Sonntagskrimi ist nach einem heiter-hintergründigen Stuttgarter Film im Juni erneut ein Tatort mit viel Augenzwinkerei, wenn auch weniger flapsig als die Tigerkralle.

Pheline Roggan als Melania Wolter in voller Montur der Heldin eines Ritterspiels und ihr Racheschwert schwingend. Die Herrn Dürr (Heino Ferch, links), Hannes Schalles (Henning Hartmann, Mitte) und René Schalles (André Eisermann) scheinen nicht die Absicht zu haben, in den Kampf, der sich vor ihren Augen abspielt, eingreifen zu wollen // © SWR/Benoît Linder

Viel Humor ergibt sich hier durch – teils undurchschaubare – Nebenfiguren (neben Heino Ferch u. a. dargestellt von Ulrike C. Tscharre, Marie Bonnet, Hendrik Heutmann, Pheline Roggan), die wohl auch teils lose an Figuren aus der Nibelungensage beziehungsweise Richard Wagners Opernzyklus Der Ring des Nibelungen angelehnt sind. So ist der Tatort: Gold denn auch in eben diese vier Zyklen, von Rheingold bis Götterdämmerung, unterteilt.

Aufwendiger Odenthal-Stern-Zyklus

An dieser Stelle nun muss ich gestehen, dass die Lektüre der Nibelungen ein wenig her ist und mir lediglich noch ein paar Schlaglichter der Geschichte bekannt sind (obwohl ich in der Schule einen langen Vortrag und eine dicke Mappe zum Thema verfasst habe). Ebenso habe ich den Opernzyklus eher… weniger bewusst gehört – da mir Wagners ohrenbetäubender Bombast ebenso zuwider ist wie dessen Misanthrophie und vor allem ausgeprägter Antisemitismus. Den Deutschen Hörbuchpreis gab es Anfang des Jahres offenbar dennoch für das gute Stück.

Susanne Bartholomae (Ulrike C. Tscharre) versucht mit Hilfe von Staatsanwalt Hagen Reuschlin (Hendrik Heutmann) ihr Weingut vor der Insolvenz zu retten // © SWR/Benoît Linder

Insofern vermag ich wenig über die konkreten Anleihen zu sagen, die der von Angelika Dufft wunderbar bühnenhaft ausgestattete und von Michael Merkel in feine Bilder übersetzte Odenthal-Stern-Zyklus bei der Sage oder dem Ring nimmt. Der stimmungsvollen und auffällig aufwendigen Musik von Robert Schulte Hemming und Jens Langbein, die sie mit Musiker*innen der Elbphilharmonie und der Altistin Anna-Maria Torkel sowie dem Bariton Andreas Heinemey aufgenommen haben, ist durchaus einiges Sagenumwobene zu entnehmen.

Okay.

Bei allem Witz, manch klugem Wort (gibt‘s in den Ludwigshafener Filmen ja nicht immer, wenn zuletzt auch häufiger), vielem Talent und dem sympathisch-schrullig-schwulen Hotel-Inhaber-Paar Hannes und René Schalles (Henning Hartmann, André Eisermann – „René Schalles und das ist mein Mann, der Hannes.“) sowie erwähnter, in die Geschichte verwobener Nebenfiguren, plätschert dieser sicherlich wohl durchdachte Tatort zu größten Teil genüßlich vor sich hin.

Sind im Gebiet um Deidesheim tatsächlich uralte Goldefunde zu erwarten? Nibelungenforscher Albert Dürr (Heino Ferch) und sein Assistent Emil (Philipp Jacob) gehen unter die Schatzsucher … // © SWR/Benoît Linder

Was nichts Schlechtes sein muss. Doch das Hybrid aus klassischem Whodunnit, Goldgräberstimmung, Habsuchtsparabel, Opernanleihe, Witz und Katzenliebhaber-Geschichte mag sich irgendwie nicht so recht zu einem wohligen Ganzen fügen. Es ist komisch: Ich fühlte mich gut unterhalten; außer einem schulterzuckenden „Okay“ hatte ich danach jedoch zuerst nicht viel zum Tatort: Gold zu sagen. Was wohl nicht nur an meinem Nibelungen-Halbwissen gelegen haben dürfte.

AS

PS: Wenn Hoteldirektor René Schalles einen Arienauszug vom Hotelfenster aus schmettert, ist das schon recht lustig. (Laut Presseheft handelt es sich um „Leb wohl du kühnes herrliches Kind“.)

PPS: „Was ist denn mit dem Ring? Ist der noch am Finger? Ich mein der muss ja ins Museum.“ – „Wär‘ jetzt nicht meine erste Sorge bei zwei Leichen.“ – Johanna Stern hat goldige Interessen.

Johanna Stern (Lisa Bitter) ist nicht frei von der Faszination, die die von den Goldfunden ausgehen // © SWR/Benoît Linder

PPPS: Wenn die gute Seele des Ermittlerinnen-Büros, Edith Keller (Annalena Schmidt), die Nibelungen-Sage bzw. Teile des Rings liest und erschüttert über Gewalt und Co. ist, sie also wohl nicht kennt, jedoch für irgendein Kindertheater (?!) inszenieren soll, ist das auch witzig. Ich denke, dass viele Menschen an die Stoffe gehen ohne sich je mit ihnen befasst zu haben und sich sagen: „Wird schon, Edith!“

PPPPS: Es scheint Experementierfreude unter den Tatortler*innen zu herrschen: Letztes Jahr gab es da bereits so einige Filme; nun dieser, der kommende Frankfurter Tatort experimentiert ebenfalls (dazu kommenden Sonntag mehr) und nun… wir sind gespannt.

Im „Tatort – Gold“ mit Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, Lisa Bitter als Johanna Stern und Heino Ferch als Nibelungen-Spezialist Dr. Albert Dürr geht es um die Faszination alter Schätze und deren tödlicher Auswirkungen // © SWR/Benoît Linder

Tatort: Gold ist am Sonntag, 3. September 2023, um 20:15 im Ersten zu sehen und ist anschließend für sechs Monate in der Mediathek verfügbar.

Tatort: Gold; Deutschland 2023; Regie: Esther Wenger; Buch: Fred Breinersdorfer, Katja Röder; Bildgestaltung: Michael Merkel; Musik: Robert Schulte Hemming, Jens Langbein; Darsteller*innen: Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Peter Espeloer, Annalena Schmidt, Heino Ferch, Ulrike C. Tscharre, Marie Bonnet, Hendrik Heutmann, Pheline Roggan, Henning Hartmann, André Eisermann, Karin Hennemann, Jo Jung; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion des SWR für die ARD

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