Was gewesen sein wird

„An occassionally true story“ heißt es zu Beginn jeder Folge von The Great, einer Serie, die das Leben von Katharina der Großen und Hass-Liebe-Ehemann Peter fiktionalisiert. Wäre mensch nicht bewusst auf der Welt und hätte in den vergangenen Jahren bis Jahrzehnten die Nachrichten und das politische Geschehen nicht verfolgt, könnte mensch meinen, dass die Geschichte der CSU eine fiktionale Erzählung sei. Ja, eine Sage gar. So viel Intrige und Backstabbing gab es ja nicht mal bei den Nibelungen. Allein – es ist alles wahr…

Freude, schöner Bayernfunken

Wie wahr, das beschreibt der SZ-Journalist Roman Deininger so eindrücklich wie pointiert in seinem bereits 2020 im C.H. Beck Verlag erschienenen Buch Die CSU – Bildnis einer speziellen Partei, das zu lesen eine absurd große Freude bereitet. Auf gut dreihundert Seiten und in fünf Kapiteln befasst Deininger sich mit Geschichte und Gegenwart der Partei, dabei nie verlegen um eine gern mal zugesptitzte Einordnung wie auch Selbstkritik. Immerhin ist die CSU seit langen Jahren sein Beobachtungsgegestand – da unterlaufen einem natürlich mal Fehler.

Dieses Buch ist keiner davon. Die Akribie, mit der der versierte Journalist und augenscheinlich talentierte Schreiber von dieser speziellen Partei zu erzählen weiß, wie er die Geschichte und Tradtion mit dem Heutigen zu verküpfen weiß, das ist schon ziemlich gut. Und lehrreich. Wer hätte gedacht, dass sich aus Bayern für Deutschland lernen lässt?

Freund, Feind, Parteifreund

Markus Söder vermutlich. Horst Seehofer wohl auch. Franz Josef Strauß sowieso. Edmund Stoiber… naja, der hat ein Land, das über Bayern hinausgeht, ohnehin erst in seinem misslungenen Wahlkampf um die Bundeskanzlerschaft entdeckt. Apropos: Wird Söder es versuchen? Wird er sich erneut als Kandidat ins Spiel bringen? Dass er möchte, ist klar. Allein: Wird er können?

Laut aktuellem ZDF-Politbarometer steht die CSU bei 36 % – da wackelt es. Laut Meinung von politischen Beobachter*innen hätten sich Söders Ambitionen bei einem Wert unter 35 % erledigt. Möglich. Dann wiederum: Totgeglaubte leben länger. Auch hier ist das Buch von Roman Deininger interessant und mag, quasi rückblickend gesehen, einen Blick in die Zukunft werfen. Söder, der Wendehals mit Werten, ist am Ende doch immer da. Und er kennt Stimmungen, wenn er sich auch mal irrt.

Rinks, lechts

Etwas, das er im Gegensatz zu einem zynischen Opportunisten mit einem Ego, das höher fliegt als jeder Jet, wie Friedrich Merz, mittlerweile begriffen hat, ist es, dass ein Anbiedern nach rechts auch nicht hilft, die rechte Flanke zu schließen. Demokratie spielt sich nicht in Extremen aus. Diesen Lernprozess beschreibt Deiniger fein und beinah liest es sich so, als sei das Buch erst gestern geschrieben worden (wenn wir auch den verbitterten Kampf gegen Armin Laschet nicht mehr erleben).

In diesem Zusammenhang gibt er auch in Gänze das Strauß‘sche Bonmot, dass es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, wieder. Gern wird das ja aus dem Kontext gerissen und der Partei eine beinahe na(r)zistische Gesinnung unterstellt. Das ist natürlich absurd.

Heimatfeinde

Das machte auch Söder zuletzt im Rahmen der Aiwanger-Flugblatt-Affäre klar (das Kapitel „Neuerfindung: Die wundersame Verwandlung des Markus Söder“ wirkt beinahe prophetisch). Wenn er sich auch da zuletzt selber sehr opportunistisch verhielt. Schön blöde, wenn du dich in die Sackgasse manövrierst, nur noch mit einer Partei weiterregieren zu können. Warum der Söder Markus Die Grünen als „Fortschrittsverweigerer“ in Bayern so ablehnt und als Feindbild ausgemacht hat, auch das erörtert Deininger und erneut liest sich dessen Buch wie ein aktueller Beitrag („Die Heimat, die sie meinen: Die Grünen als neuer Hauptgegner“).

Beinahe ironisch hingegen wirkt dessen Einschätzung zum Kalkül Söders, was die Freien Wähler angeht. Eine vermeintlich zu kontrollierende und einhegende Partei als kleiner Partner. Nun – dem scheint zumindest aktuell nicht mehr so, steht diese Partei, die wahrlich Fleisch vom Fleische der (ländlichen) CSU ist, doch Stand heute in Umfragen bei 15 – 16 %.

Kontext, Kontext, Kontext

Die Geschichte der Christlich Sozialen Union ist lang, Deininger beschreibt sie kuzrweilig. Und vermittelt klar: Sich auf ihr auszuruhen, wird nicht helfen. Den Grund, warum sie als Volkspartei noch nicht abgeschrieben ist, sieht Deininger darin, dass sie von einem weit höheren Plateau als beispielsweise die Bundes-SPD oder –CDU „fällt“. (Ein Kapitel heißt „Anleitung zum Unglücklichsein: Die SPD macht Opposition“, allein dafür lohnt der Kauf sich schon.)

Besondere Freude bereitet und Erkenntnis bringt die Lektüre von Die CSU in Kombination mit der zackig verfassten Biograife Söders von Anna Cluaß, dem von mir gern als Standardwerk bezeichneten >>Alleiner kannst du gar nicht sein..<< von Peter Dausend und Horand Knaup sowie dem kürzlich erschienen Die Fehlbaren von FAZ-Journalistin Helene Bubrowski. Nicht zu vergessen: Robin Alexanders Machtverfall sowie Die Getriebenen zur weiteren Einordnung des Schicksalsherbsts 2015.

Es lässt sich also viel lernen. Auch darüber, wie die CSU meint, mit Konflikten umgehen zu können, wie ma(n) vom Wadlbeißer zum Bundespolitiker wird (oder eben auch nicht), wie Animositäten das politische Wirken prägen und wie mensch sich einem Bundesland verschreibt, das einem gerade nur so viel zurückgibt wie es braucht, die Weißwurst zu zuzeln.

AS

PS: Strauß, aus Gründen auch „Idi Alpin“ genannt, zum Putsch gegen Salvador Allende: „Es sei dort <<nicht freundlich>> zugegangen, so viel räumte er ein.“

PPS: Roman Deininger setzt sich auch dezidiert mit der CSU und deren Frauenbild sowie den politischen Karrieren von Frauen in der Partei auseinander. In diesem Zusammenhang kommt auch die vor einem Jahr verstorbene Barbara Stamm ausführlich zu Wort, deren Stimme der Vernunft der Partei heute fehlt.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Roman Deininger: Die CSU – Bildnis einer speziellen Partei; Februar 2020; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 352 Seiten, mit 20 Abb.; ISBN 978-3-406-74982-7; C.H. Beck Verlag; 24,00 €

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