Der springende Punkt: Witz mit Kopf

„Das menschliche Dasein besteht aus einer Vielzahl an Herausforderungen und Widrigkeiten und kann infolgedessen in seiner Gesamtheit nicht mit der lingualen Aufnahme von Süßigkeiten verglichen werden.“

So ist das nämlich und weil das so ist, sollte öfter einmal gelacht werden. Gern auch mit ein wenig Chips, äh Grips, sonst ist es ohnehin nur halblustig bis unlustig. Glücklicherweise gibt es ja Lorenz Meyer, der uns in Buchform zuletzt mit seiner Kreuzfahrt durch die Republik hintergründig erfreute (eine Besprechung folgt) und nun mit Sprechen Sie Beamtendeutsch? ein (an mir vorbeigegangenes) Twitter-Phänomen als Buch im Rowohlt Verlag vorlegt. Muss mensch heute eigentlich schon von X-Phänomen sprechen?

Der Ansatz dieser Übersetzungshilfe zum Mitraten ist ein so simpler wie unterhaltsamer: Anfang des Jahres 2023 hatte Meyer die Twitter-„Gemeinde“ dazu aufgefordert ihm ein Sprichwort oder eine Redewendung zu nennen und er würde dies entsprechend so umformulieren, wie es „eine deutsche Behörde ausdrücken würde.“ Wie gesagt: simpel, aber drauf kommen muss mensch auch erstmal.

Dass das viral (und erneut: an mir vorbeiging) ist beinahe naheliegend. Dass daraus nun ein Büchlein entstehen würde, ebenfalls. Dabei ist die recht große Menge an Redewendungen und Sprichwörtern auf knapp einhundert Seiten bunt gemischt angeordnet, folgt keiner bestimmten Ordnung. Das Leben ist aber ohnehin Chaos, passt also. Zudem macht diese Unordnung das Raten interessanter.

Es finden sich sehr bekannte Aussprüche wie „Der Schein trügt“, „Irren ist menschlisch“, „Den Ball flachhalten“ oder „Die Kirche im Dorf lassen“ neben eher regionalen Aphorismen à la „Et kütt wie et kütt“ (wenn der auch sehr bekannt ist) und manch (womöglich) spezielleren Bonmots wie „Nur die Harten kommen in den Garten“, „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“ oder „Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss sehen, was übrig bleibt“.

Einige von Meyers Kreationen sind wirklich und wahrlich große Wortkunst und lassen eine*n beim Rätseln laut lachen:

„Der von Augenzeugen kolportierte Bericht, Zugehörige der Familie der Equiden hätten schon vor einer auf Abgabe von Arzneimittel- und Medizinprodukten spezialisierten Handelsstätte vomieren müssen.“

Das steht für die vor der Apotheke kotzenden Pferde – wunderbar. Ebenso wie:

„Bei gesellschaftlichen Zusammenkünften und/oder privaten Treffen wirkt sich die temporale Progression positiv auf die Attraktivitätsbewertung der Besucher und Besucherinnen aus.“

Also: „Je später der Abend, desto schöner die Gäste.“ Ebenfalls sehr fein. Dann gibt es jene Übersetzungen, die wunderbar bürokratisch aber weniger heiter daherkommen, wie etwa:

„Dem abschichtsvoll ausgeübten Reisevorgang, durch den eine im Vorhinein festgelegte Destination erreicht werden soll, wird im Hinblick auf die tatsächlich Erreichung ebendieser identische Signifikanz beigemessen.“

Der Weg ist also das Ziel – passt irgendwie auch auf Sprechen Sie Beamtendeutsch? Einige der Übersetzungen allerdings lesen sich eher wie Erläuterungen oder Beschreibungen. Diese beginnen nicht selten mit dem Wörtchen „Eine“, wie etwa hier:

„Eine Verletzung der Vetraulichkeit, die sich durch die narrative Preisgabe von privaten oder geheimen Informationen manifestiert, die sich in einem Behältnis für Schneider- und Textilutensilien befinden.“

Das kommt, ohne nun aus dem Nähkästchen plaudern zu wollen, nicht allzu oft vor in diesem kleinen, feinen Büchlein, aber doch immer mal und selbst wenn das Mitraten auch dort Freude bringt, ist die Aufgabe in diesen Textteilen teils verfehlt. (Aber siehe dazu das den Text einleitende Zitat.)

Unterm Strich ist Sprechen Sie Beamtendeutsch? eine Empfehlung für eine*n selber, zum Verschenken und dürfte auch manch eine Dinner-Party auflockern und/oder einen Spieleabend heiter bis nachdenklich bereichern, auch wenn es de facto vor allem dem urtypisch deutschen Bedürfnis nach papiergebundener Archivierung – in diesem Fall von Tweets – nachkommt. Und schlussendlich ist es doch so:

„Amtlicher Warnhinweis: Zu den Gesellschafts- und Begleithunden zählende Tiere der FCI-Gruppe 9, Sektion 2, Standard-Nr. 172 können bei sensiblen Personen zu Halluzinationen und Teufelserscheinungen führen, was sich als Tragödie von Faust‘schem Ausmaß erweisen kann.“

AS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Lorenz Meyer: Sprechen Sie Beamtendeutsch? Eine Übersetzungshilfe zum Mitraten; Juli 2023; Taschenbuch; 96 Seiten; ISBN: 978-3-499-01381-2; Rowohlt Taschenbuch; 12,00 €

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