„Ich esse Mode.“

Beitragsbild: Die Familie Versace bei einem Essen im Jahr 1988: unter anderem mit Donatella Versace, Paul Beck, Antonio D’Amico, Santo Versace und dem Modedesigner Gianni Versace (v.l.) // Foto: ARTE/© Guy Marineau

„An mich soll man sich erinnern, als jemand der versucht hat, in der Mode Grenzen zu durchbrechen. Der Mode auf die Straße gebracht und Menschen bestmöglich inspiriert hat. Aber dafür ist es noch zu früh.“

Gianni Versace

Vor mittlerweile gut 26 Jahren ging am Morgen des 15. Juli 1997 ein Notruf bei der Polizei von Miami Beach ein – vor der Villa „Casa Casuarina“ ist auf den weltbekannten Modedesigner Gianni Versace, 50, geschossen worden. Der Schütze hieß Andrew Cunanan, 27, gehörte zu der Zeit zu den zehn meistgesuchten Verbrechern der USA und sollte sich acht Tage später selbst töten. In der arteDokumentation Die Versace-Saga wird uns die Aufnahme des Notrufs vorgespielt. Darüber hinaus aber hält sich der Film von Olivier Nicklaus nicht weiter mit dem Callboy und Serienkiller Cunanan auf, sondern ist ganz bei der Familie, bei den Hinterbliebenen Gianni Versaces. Allen voran seiner geliebten, neun Jahre jüngeren Schwester Donatella.

Erste gekonnte Schritte

Obwohl Gianni in seinem Testament sein Lebenswerk seiner damals noch minderjährigen Nichte Allegra vermacht, ist es Donatella, die, gemeinsam mit Bruder Santo, die Zügel in die Hand nimmt. Eine Entscheidung, die die Familie und den Zusammenhalt auf die Probe stellen wird. Nicklaus arbeitet das in seiner ansehnlichen, kompakten und doch informationsreichen Doku adäquat heraus. Dies vor allem in der zweiten Hälfte der gut fünfzig Minuten Laufzeit.

Anfangs geht es natürlich um die Wurzeln Versaces, die Entscheidung zu Beginn der 1970er-Jahre nach Mailand zu ziehen und von nun an – mithilfe der Familie – der zu werden, an den sich nicht nur modeaffine Menschen erinnern. 1978 gründet er mit Santo und Donatella das eigene Label. Dank diverser kompetenter Gesprächspartner ist Die Versace-Saga eine ansprechende Mischung aus Gossip, Business-Talk und Modegeschichte.

Keine Schuld, keine Scham

So passt es, wenn Tim Blanks, Journalist unter anderem beim Branchenmagazin The Business of Fashion (BoF), sagt, dass sich die Leute bei den Versaces irgendwie an die Borgias und/oder Medicis erinnert fühlten. Nicht zuletzt die immer unterstellten Verbindungen der Medusa-Marke zur Mafia hat dieses Bild koloriert. Genauso passt es, wenn über die Aufteilung und stete Fortentwicklung des Unternehmens gesprochen wird; darüber, dass Versace der erste war, der es schaffte ein Metallgemisch auf den Markt zu bringen, das mit der Maschine genäht werden konnte.

Der italienische Modedesigner Gianni Versace (2.v.r.), seine Geschwister Santo (re.) und Donatella (3.v.r.) sowie Donatellas damaliger Ehemann Paul Beck (li.) in Versaces italienischer Villa Fontanelle mit Blick auf den Comer See in Italien, 1988 // Foto: ARTE/© Getty Images/Evelyn Hofer

Wenn anerkennend über seine Erfolge gesprochen wird, aber auch darüber, dass er immer tyrannischer wurde, je besser es für das Haus lief. Streit wurde regelmäßiger, vor allem als Gianni eine Beziehung mit Antonio D‘Amico einging, den Donatella ablehnte. Dafür ehelichte sie später das Model Paul Beck, dem eine frühere Liasion mit ihrem Bruder unterstellt wurde. Ebenso scheint der Vordenker durch, wenn es darum geht, wie er dank Richard Avedon und Bruce Weber seine Mode und Models, männlich wie weiblich, eindrücklich inszenierte und so große Marketingkampagnen fuhr.

Die komplette Verschmelzung

Etwas, das Donatella später fortsetzen sollte. Wie etwa mit dem Coup einer Hommage an Gianni, zwanzig Jahre nach dessen Tod, für die sie noch einmal Carla Bruni, Claudia Schiffer, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Linda Evangelista auf die Bühne holte. Frauen, die Gianni Versace als „mächtige, freie Frauen inszeniert“ hatte, wie Bruni anmerkt. Dabei rechneten Konkurent*innen und Kenner*innen der Branche mit einem Scheitern Donatellas, die nach Giannis Tod süchtig nach Schönheits-OPs und Drogen wurde. Das Haus Versace stand kurz vor dem Bankrott und Donatella sei ein Totalschaden, wie es sinngemäß im Film heißt.

Elton John sollte es sein, der sie zur Reha schickte und sie sollte es sein, die unter dem garstig-wachsamen Auge der Öffentlichkeit ihren Weg fand. Dabei zu einer Mischung aus Business-Woman und Camp-Ikone wurde. Wenn man sie so sehe, könne man leicht Irttümern über die wasserstoffblonde, immer bronze-braune Donatella erliegen, wie die Modeexpertin der New York Times, Vanessa Friedman, an einer Stelle anmerkt. Dabei wisse sie sehr genau, was sie tue. Sie habe sich erschaffen oder Gianni dabei geholfen, ein Image von ihr zu kreieren, das sie nun ausfülle.

Eine ungemein verführerische Mischung

Wie wahr das sein dürfte, merken wir, als es um den Verkauf des Hauses geht und Donatella dafür sorgt, dass alles, was sie sich wünscht, erfüllt wird. Denn ohne dieses Haus, diese Arbeit, wird sie sich wohl kaum ein Leben vorstellen können. Da ähneln sich die Geschwister. Gianni Versace etwa kreierte zur Entspannung Opernkostüme und arbeitete weiter als wäre nichts, als 1996 Ohrenkrebs bei ihm diagnostiziert wurde.

„Wer die Vergangenheit kennt, kann sie in Zukunft verwandeln. Wer dumm ist, schafft das nicht, nicht mal in der Mode.“

Gianni Versace

Nein das Leben hielt diesen großen Designer nie auf, es hält auch Donatella nicht auf. Die Versace-Saga geht weiter, ein „Mix aus Seifenoper und griechischer Mythologie“, der uns, wohl ähnlich der Gucci-Familie, noch lange Zeit interessieren wird. Mode, Mord und Magie – das ist eben einfach eine ungemein verfüherische Mischung. So dürfte auch diese Dokumentation, deren musikalische Begleitung wohl nicht von ungefähr an Nicholas Britells Töne für Succession erinnert, Gefallen auch bei Zuschauer*innen finden, die nicht „für die Mode leben“.

Dass manche Dinge dennoch ein wenig weiter hätten ausgeführt werden können, etwa die inhärent homofeindliche Berichterstattung nach Giannis Ermordung; die Mechanismen der Industrie, die sicherlich nicht dabei halfen, Donatella zu festigen; die Fehde zwischen Blutsverwandtschaft und Partnern oder dass es wünschenswert gewesen wäre, die Interviewausschnitte mit einem Datum zu versehen, sei kurz angemerkt. Hier fehlen dann am Ende eben doch zwanzig Minuten mehr Sendezeit. Eine Empfehlung ist Die Versace-Saga aber aus oben genannten Gründen in jedem Fall.

AS

PS: Wer noch einiges mehr über den Mord an Gianni Versace, die (vermeintlichen) Motive und vor allem den Serienkiller Andrew Cunanan erfahren möchte, dem sei die zwar durchwachsene, aber dennoch recht brauchbare und mit u. a. Darren Criss, Penélope Cruz, Ricky Martin, Cody Fern und Judith Light gut besetzte Mini-Serie American Crime Story: Der Mord an Gianni Versace von Ryan Murphy empfohlen.

Die Familie Versace: Paul Beck (li.) mit Sohn Daniel Beck Versace, Gianni Versace (Mi.) mit seiner geliebten Nichte Allegra Beck Versace, und Donatella Versace (re.) // Foto: ARTE/© Gamma Rapho Keystone/Gianni Giansanti

Die Versace-Saga; Frankreich 2023; Regie: Olivier Nicklaus; Sprecherin: Nina Kunzendorf; Laufzeit ca. 53 Minuten; noch bis zum 25. Oktober 2023 in der arte-Mediathek

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