Sanktionen: ein zweischneidiges Schwert

Mit Sanktionen ist es so eine Sache: Sie tun zumeist allen weh, die sie betreffen, sowohl diejenigen, gegen die sie verhängt werden als auch jenen, die sie verhängen. Nicht umsonst sind sie häufig umstritten und gibt es oft schon früh Rufe, dass sie „wirkungslos“ und „überzogen“ seien, „die eigenen Leute“ mehr schädigten als die Zielgruppe und deshalb abgeschafft werden sollten.

Seit der russischen Annexion der Krim 2014 bestehen wesentliche Sanktionen (wir erinnern uns an den damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU und sein nur halb im Scherz gemeintes Statement: „An apple a day keeps Putin away“) und im Zuge des vor nunmehr bald zwei Monaten seitens Wladimir Putin vom Zaun gebrochenen Kriegs gegen die Ukraine wurden sie bekanntermaßen stufenweise deutlich verschärft. Die Sperrung ausländischer Konten und Einreiseverbote für wohlhabende Russinnen und Russen um Putin herum, der (vielleicht doch nur vorübergehende?) Stopp von Nord Stream 2 oder das lange Zeit umstrittene Swift-Abkommen sind die bislang schärfsten Sanktionen, die Europa und die USA gegen Russland erlassen haben.

Sanktionen treffen viele – zu viele

Dass Sanktionen einerseits bei den Verhängenden umstritten sind, liegt auch daran, dass es sie oft selbst trifft. Das nun verhängte Verbot der Ausfuhr von Hochtechnologie nach Russland etwa tut vielen deutschen und europäischen Konzernen weh. Sie müssen auf so manches – unser aller Wohlstand sicherndes – Geschäft verzichten. Darunter leiden Firmenbosse, klar, aber eben auch viele von uns, denn diese Unternehmen zahlen (idealerweise) Steuern, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Und sie sorgen für Innovation, wissenschaftlichen Austausch und technologischen Fortschritt. All das wird durch Sanktionen natürlich ausgebremst, zum Schaden aller. Wäre der Handel mit Russland nicht in unserem Interesse, wir würden ihn nicht betreiben.

Gleichzeitig treffen sie oft auch in der sanktionierten Gesellschaft viele, die sie eigentlich nicht treffen sollten. Swift zum Beispiel galt lange als „das schärfste Schwert“, das am Ende doch nur so halb gezogen wurde, denn einige russische Banken sind immer noch nicht davon abgeschnitten. Möglichst gezielte Sanktionen zu verhängen und so nur diejenigen zu treffen, die es wirklich treffen soll – nämlich diejenigen, die den gewünschten Wandel im Verhalten wirklich herbeiführen können, wie beispielsweise Oligarchen – ist absolut wünschenswert, aber leider doch nicht immer möglich.

Jens Siegert beispielsweise, Russlandexperte mit fast 30-jähriger Erfahrung in Moskau, war lange skeptisch, was die Aussetzung von Swift für Russland beträfe. In einem Interview, das wir wenige Stunden vor der Einigung auf die Swift-Sanktionen mit ihm führen konnten, sagte er, dass diese Maßnahme auch er kritisch sehe. Ja, sie würde wohl viele Putin-Getreue treffen, aber eben auch viele andere. Oppositionelle etwa oder NGOs wie das von ihm beratene und erst kürzlich in wesentlichen Teilen in Russland verbotene Menschenrechtszentrum von MEMORIAL. Diese Kreise zu treffen, würde eine hohe Zahl von Kollateralschäden verursachen, die er nicht gerne sähe.

Sanktionen als schmerzhafter Weckruf

Das stimmt, diese Schäden dürfte es in großen Teilen geben. Aber einerseits geht das Regime in Moskau ohnehin schon sehr hart gegen Oppositionelle, Menschenrechtsorganisationen oder auch unabhängige Medien wie den Fernsehsender Dozhd vor. Das ist absolut unschön, zeigt aber doch nur noch einmal, welch menschenverachtendes Regime in Moskau an den Schalthebeln der Macht sitzt.

Vor allem aber sind solche Sanktionen gegen erst einmal Unbeteiligte auch ein Mittel, diese auf die Ungerechtigkeit, die durch das eigene Regime ausgeht, aufmerksam zu machen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist klar zu kritisieren, wenn „kleine Leute“ unter ausländischen Sanktionen leiden müssen, wenn sie hungern oder wenn Medikamente fehlen. Und auch wenn ein Unrecht niemals ein anderes aufwiegen kann oder darf: Leider sehen wir aber genau diese Mangelsituationen bei vielen Binnenvertriebenen, Zivilistinnen und Zivilisten in der Ukraine und Putin fragt ganz bestimmt nicht danach, wie es armen Familien in Kiew, Charkiw oder ukrainischen Kleinstädten geht. Um das zu wissen, braucht es nicht einmal das entsetzliche Massaker von Butscha.

Ein Volk muss aufbegehren

Sanktionen und Gegensanktionen sind im politischen Handeln oft eingepreist. Sie sind nicht schön, aber sie sind leider häufig notwendig. Sie zielen darauf ab, bei eigentlich Un- oder nur am Rande Beteiligten einen Schmerz auszulösen. Die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel müssen sie einsetzen, um das Verhalten derer zu ändern, die die Verantwortung für die Sanktionen tragen – in unserem Fall also Wladimir Putin und die um ihn regierende Clique.

Wenn die Menschen in Russland dafür gravierende Einschränkungen hinnehmen müssen, vielleicht hungern, ihnen vielleicht wichtige Medikamente fehlen, so ist das schlimm und kaum zu entschuldigen. Wie jedoch gesagt, im Fokus für Europa und die USA müssen die Menschen in der Ukraine stehen, denn sie leiden am meisten unter der Aggression, die die primär männliche Clique um Putin – einen Präsidenten, den das Volk in unfreien und undemokratischen Wahlen nicht verhindern konnte, das also nicht in moralische Verantwortung gezogen werden darf.

Die Menschen in der Ukraine haben „nur“ die Möglichkeit sich zu wehren, die Invasion Putins abzuwehren, mit den Mitteln, die sie bisher nutzen, so gut sie können. Die Menschen in Russland aber haben tatsächlich die zumindest theoretische Möglichkeit, etwas gegen Putin zu tun. Ja, Demonstrationen werden dieser Tage in Russland umgehend aufgelöst, die Demonstrierenden mit atemberaubender Geschwindigkeit ins Gefängnis geworfen. Die Volksaufstände in der DDR 1953 oder Ungarn 1956 zeigen auch, wie schnell sich so eine Bewegung niederschlagen lässt. Die Montagsdemonstrationen in Leipzig zeigen jedoch, dass Beharrlichkeit auch siegen kann. Somit sind die „normalen Menschen“ in Russland wohl die größte Chance, diesen Krieg aus Russland zu beenden. So schlimm es sein mag und so groß das Mitgefühl auf dieser Seite ist, aber dass sie von Sanktionen getroffen werden, ist für diesen Prozess wohl unvermeidlich.

Gegendruck

Ein letzterPunkt: Wenn Sanktionen lange bestehen und sich das Verhalten der Zielpersonen dennoch nicht ändert, dann heißt das nicht automatisch, dass sie „wirkungslos“ seien (manchmal sind sie das jedoch in der Tat, vor allem ist es eher widersprüchlich, Sanktionen scheibchenweise und mit langgezogenen Ankündigungen zu setzen). Im Angesicht einer von außen aufoktroyierten Maßnahme entwickeln Gesellschaften oft ein erstaunliches Durchhalte- und Anpassungsvermögen, sogar eine deutliche gesellschaftliche Innovationskraft (was die weiter oben genannten innovatorischen Minderleistungen in Teilen ausgleichen dürfte).

Gerade solch ein Durchhaltevermögen ist vielen Russinnen und Russen eigen, wie der bereits zitierte Jens Siegert in seinem sehr lesenswerten Buch Im Prinzip Russland schreibt. So ungern wir das also sagen wollen: Die wohl beste Möglichkeit, hier flankierend tätig zu werden, ist die konsequente Aufklärung über die Ursachen der Sanktionen, nämlich die Aggression Putins. In einer zensierten Medienöffentlichkeit wie der russischen – siehe Dozhd und das ebenfalls in Russland blockierte Facebook – ist es eben leider schwer, die nötige unabhängige Aufklärung zu betreiben. Es ist somit trotz harter und wirksamer Sanktionen leider durchaus möglich, dass wir uns trotz aller Maßnahmen auf einen langen Konflikt einstellen müssen.

HMS, Mitarbeit AS

PS: Um hier den Rahmen nicht zu sprengen, haben wir auf Betrachtungen bspw. zu Öl-, Gas-, und Kohleembargos verzichtet, ebenso auf das vor allem in Teilen der SPD schon beinahe anti-ukrainisch anmutende Verhalten. Dazu folgt ein Kommentar in den kommenden Tagen.

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