Eine Waffe mit Hochdruck

Was haben wir gebibbert? Letzten Sommer hatten wir Sorge, dass Putin uns den Gashahn zudreht – hat er dann ja auch gemacht. Im Winter haben wir vielleicht ein bisschen gebibbert, denn es war zwar kalt, aber dank Klimawandel nicht ganz so lange und nicht so kalt. Winter war eben trotzdem (und wir hier haben echt an allen Ecken und Enden am Gas gespart — kalt duschen im Winter hält fit). Aber Putins Werkzeug namens Gazprom hat im ersten Kriegsjahr durchaus seinen Zweck erfüllt.

Blick auf das Lakhta Centre, den Sitz des russischen Gasmonopolisten Gazprom in Sankt Petersburg // © Dmitri Lovetsky/AP/Foto: WDR

Dieses Werkzeug nimmt eine Dokumentation des Regisseurs und Autors Dirk Laabs unter die Lupe, die bereits vor einigen Wochen sowohl bei arte als auch im Ersten ausgestrahlt wurde und bis Mitte Mai 2023 in der Mediathek verfügbar ist. In Gazprom – Die perfekte Waffe nehmen Laabs und sein Team das wohl bekannteste und einflussreichste russische Staatsunternehmen unter die Lupe.

Geburt eines geopolitischen Riesen

Über den Inhalt der Dokumentation gibt es eigentlich gar nicht so viel zu sagen. Von der Gründung Gazproms aus dem sowjetischen Gasministerium als eines der wohl unterbewertetsten Unternehmen des neuen russischen Staats ist bekanntermaßen ein Riese auf dem Weltmarkt und ein überaus machtvoller geopolitischer Akteur geworden. Diese Entwicklung der letzten etwa drei Jahrzehnte inklusive weitreichender westlicher Investitionen zeichnet Laabs in seinem Film nach.

Eine Gasfackel brennt nahe dem westsibirischen Nowy Urengoi (Russland) neben Gasbohranlagen des russischen Gasmonopolisten Gazprom. // © Uwe Zucchi/dpa/Foto: WDR

Er geht dabei auf den Vorgang der Privatisierung ein, auf den Werdegang des heutigen Präsidenten und früheren KGB-Agenten Wladimir Putins, seines willfährigen Erfüllungsgehilfen Matthias Warnig und so manch anderer machtvoller Marionetten im Mikrokosmos des Staatsunternehmens. De facto – das lässt Laabs seine Interviewpartnerinnen und -partner sehr deutlich herausstellen – ist aber nur einer der Chef dieses Megakonzerns: Wladimir Putin.

Martin Schulz wusste es ja schon immer

Vom früheren BASF-Chef über politische Kommentatoren und Analystinnen kommen bei Laabs eine Reihe von Akteuren zu Wort. Der frühere polnische Außenminister und heutige EU-Parlamentarier Radek Sikorski ist in seiner unnachahmlichen Art ebenso dabei wie der frühere SPD-Chef Martin Schulz. Anders als Sikorski fällt Schulz aber (erneut) nicht durch qualifizierte Kommentare auf, sondern im Wesentlichen lassen sich all seine Einschätzungen in einer Aussage zusammenfassen: Ich hab’s euch ja gesagt. Nun, Herr Schulz, Sie waren ja seit 1999 (!) ununterbrochen Mitglied des SPD-Parteivorstands. Hatten Sie da nicht wenigstens einmal die Möglichkeit, „es Ihren Genossinnen und Genossen ja zu sagen“?

Symbolische Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 1 im Jahr 2011 mit u. a. Gerhard Schröder (li.), François Fillon (2.v.l.), Angela Merkel (4.v.l.), Mark Rutte (5.v.l.) und Dmitri Medwedew (6.v.l.) // © John MacDougall/AFP / Foto: WDR

Egal, abgesehen von Herrn Schulz und seinen Einlassungen handelt es sich nämlich um einen sorgfältig zusammengeschnittenen Dokumentarfilm. Die Inputgeberinnen und -geber erläutern sehr anschaulich, wie Gazprom nach und nach ein Netzwerk von früheren europäischen Spitzenpolitikern (fast ausschließlich Männer) etablierte, das unter der Federführung einer Gallionsfigur namens Gerhard Schröder für Putin den Einfluss von Gazprom weiter und weiter ausbaute – so wie auch ein Netzwerk an Pipelines und vor allem die beiden Ostseetrassen Nord Stream und Nord Stream 2.

Präludium für den heutigen Krieg

Dabei diente das Gas bereits früh als Putins Waffe. Fast alle westlichen und kaukasischen Nachfolgestaaten des Sowjetimperiums – von Estland über Belarus und die Ukraine bis nach Georgien – wurden nach und nach Opfer dieser geopolitischen Waffe. Und an einem Moment erfolgt eine der zugespitztesten, aber leider auch zutreffendsten Aussagen dieses Films: Der Westen hat fast all diese Fälle übersehen oder ignoriert und hat sich so sehenden Auges und durch aktives Zutun in eine wirtschaftliche Abhängigkeit manövriert, die gnadenlos ausnutzt.

Gazprom-Chef Alexej Miller und Gerhard Schröder während einer Veranstaltung zur zukünftigen Zusammenarbeit mit China im Juni 2010 in Sankt Petersburg // © Alexei Filippov/ITAR-TASS/Foto: WDR

Erst als etwa 2006 ein Gaskonflikt zwischen Gazprom und der Ukraine begann, der zu einer Art Präludium für den heute herrschenden Krieg werden sollte, schienen Deutschland und Europa aufgewacht zu sein. Gerade die Ukraine – das wird bei Laabs immer wieder deutlich – war von Beginn an eines von Putins wichtigsten Zielen.

Wie er dabei Gazprom instrumentalisierte, wird in dieser Dokumentation überdeutlich. Von daher gibt es zu der Dokumentation von Dirk Laabs auch kaum mehr zu sagen, als dass sie fast uneingeschränkt sehenswert ist.

HMS

PS: Wer Gaz- doof findet aber gegen -prom nichts hat, der oder dem sei dieser Film empfohlen 😉

Das Gazprom-Logo // © Dmitri Lovetsky/AP/Foto: WDR

Gazprom – Die perfekte Waffe ist noch bis zum 14. Mai 2023 in der arte-Mediathek zu sehen.

Gazprom – Die perfekte Waffe; Deutschland 2022; Buch und Regie: Dirk Laabs; Mitarbeit: Anna Sadovnikova; Musik: Carsten Rocker; Sprecher*innen: Alexander Scheer, SUBS Hamburg (Untertitel); Eine Produktion von WDR und NDR für arte

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