Kunstleben und Aktivismus

„Sein Werk ist Ausdruck einer Kunst für alle, nicht elitär, sondern verbindend, Unterschied und Grenzen aufhebend, zugänglich.“ Das schreibt der italienische Illustrator und Karikaturist im Vorwort zu seiner illustrierten Biografie Keith Harings, die uns auf die drei Farben Blau, Magenta und Gelb reduziert und 128 Seiten durch das ausgefüllte und viel zu kurze Leben des 1958 in Kutztown, Pennsylvania, geborenen Künstlers und Aktivisten führt. Es verwundert also kaum, dass dieser Anspruch an Zugänglichkeit und Unmittelbarkeit die bunte Geschichte durchzieht. 

„Ich glaube, dass Kunst auch diese Funktion haben sollte…“

Anders könnte das Leben Harings — egal ob, wie hier, auf kommentierte Schlaglichter kondensiert oder wie im Falle von John Gruens Haring-Biografie auf knapp 300 Seiten ausgeleuchtet — nicht erzählt werden. Parisi, der bereits ein Buch zu Jean-Michel Basquiat, welcher auch hier nicht fehlt, vorlegte, schreibt ebenfalls im Vorwort: „Er [Keith Haring; Anm. d. Red.] setzte sich für Bürgerrechte von LGBTQ-Gemeinschaften und an HIV/AIDS Erkrankten, für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit ein, und gegen katholischen/christlichen Dogmatismus, Atomindustrie, Apartheid, Rassismus, Schusswaffen und Polizeigewalt.“ 

Immer auch politisch // © Paolo Parisi/Prestel Verlag

So bedeute über Keith Haring zu sprechen auch, „bestimmte politische Positionen anzuführen, die heute mehr Wichtigkeit und Aktualität denn je besitzen.“ Dennoch versetzt es eine*n beim Betrachten und Lesen von Keith Haring. Die illustrierte Geschichte zuweilen in Staunen, wie sehr das Gefühl entsteht, hier nicht die Biografie eines vor mittlerweile gut dreißig Jahren verstorbenen Künstlers in den Händen zu halten, sondern ein Buch über den Ist-Zustand einer Gesellschaft, beziehungsweise der Welt. 

„…eine politische Funktion.“

Natürlich kann es hier nicht zu allzu großen Verwirrungszuständen kommen, ist die glänzend gedruckte, im Prestel Verlag erschienene Biografie doch in drei Teile geteilt, die jeweils in Jahreszeiträumen benannt sind. Ebenso tauchen im Laufe des Bandes Jahreszahlen auf, wenn es etwa um die erste große Solo-Ausstellung Keith Harings 1982 unter den Fittichen von Tony Shafrazi geht (dessen Hintergrund der Guernica-Beschädigung gar kurz erläutert wird; wer nicht weiß worum es geht, kaufe dieses Buch). Auch erfahren wir, was Keith Haring motivierte, wie versessen er zeichnete, sich in verschiedenen Kunstformen ausprobierte, mit anderen Kunstschaffenden und Kreativen die Köpfe zusammensteckte, die Saunen und die Gay-Szene New Yorks schätzte, wann er begann Wände zu bemalen und sein „Radiant Baby“ entwickelte und auch, wie er seinen Marktwert einzuschätzen wusste — und einzusetzen verstand.

Zeichnen und Kunst – da gab es nie eine Frage // © Paolo Parisi/Prestel Verlag

Zugleich ist es eine bewusste Reise in die Vergangenheit. Wir begegnen allen möglichen Namen — Baqsuiat, Warhol, Kenny Scharf, Ann Magnuson, Fab 5 Freddy, Madonna, Drew Straub — und Orten wie dem Club 57, CBGBs, Galerien, Museen und natürlich Hauswänden, U-Bahn-Stationen und Bahnwaggons. Diese Biografie ist also auch eine kleine Stadtgeschichte New York Citys, eine Kultur- und Kunstgeschichte (wenn es etwa um William Burroughs und Cut-Ups geht: „Echte Rimbaud-Bilder… — …aber neuartige.“) sowieso und arbeitet bei aller Knappheit hervorragend ein in den ausklingenden 70ern und frühen 80ern des vergangenen Jahrhunderts vorhandenes Lebensgefühl heraus, das eine Melange aus Hedonismus und politischem Engagement ausmachte.

„Als eine Form von Aktivismus.“

Ein Engagement, das sich durch die 1981 beginnende AIDS-Krise noch stärker fokussierte. Etwas, das natürlich auch hier nicht ausgespart wird und auf einer eindrücklichen Doppelseite mit Daten von AMFAR dargestellt wird (und übrigens im Zentrum der aktuellen elften American Horror Story Staffel NYC steht, eine Besprechung folgt). Interessant ist, mit welchem Respekt Paolo Parisi die Erkrankung und den Tod Harings im Jahr 1990 in seinem Band behandelt, ohne etwas zu verschweigen oder zu beschönigen. Angst und Schmerz werden deutlich, genauso aber auch der Wille bis zuletzt zu wirken und bestenfalls Veränderungen anzustoßen. 

Lebendige Ankunft in New York City // © Paolo Parisi/Prestel Verlag

Anstoßen mag Keith Haring. Die illustrierte Geschichte auf jeden Fall die Lust, sich erstmals oder erneut eingehender mit Haring, seiner Zeit und Umgebung zu befassen. Parisi hat diese beinahe schon exzellente Comic-Biografie auch nicht einfach nur hingeworfen, sondern nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Leben und Schaffen von Keith Haring angefertigt. Einen Prozess, den er im Vorwort andeutet und der sich in Biblio-, Disko- und Filmografie manifestiert. Dort tauchen natürlich ebenso Keith Harings Tagebücher und die erwähnte Biografie von John Gruen auf wie auch die wirklich gute Dokumentation Keith Haring. Street Art Boy von Ben Anthony wie auch Rosa von Praunheims Die AIDS-Trilogie. Schweigen = Tod auf. 

Groß geworden und sich bewusst, nicht in einem Vakuum zu existieren // © Paolo Parisi/Prestel Verlag

Kurzum: Egal, ob schon eingefleischt Keith Haring und der New Yorker Kunst- und Lebenswelt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugetan, dabei gern mal kunsttheoretische Überlegungen anstellend, oder ob einfach mal ein wenig Interesse daran besteht, hier den Zeh in die Badeanstalt zu stecken: Der vorliegende, faktenbasierte, kunstvolle und kunstsinnige Band ist eine volle Empfehlung (für Fans besonderer Comics/Graphic Novels sowieso).

AS

Keith Haring von Paolo Parisi

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Paolo Parisi: Keith Haring. Die illustrierte Geschichte; August 2022; Hardcover, Pappband; 128 Seiten; durchgehend farbig illustriert; Format: 17 x 25 cm; ISBN: 978-3-7913-8844-1; Prestel Verlag; 20,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert