Mit der „Bitch“ alte Rollenmodelle überdenken

Von Petra Wiemann

Lange Zeit galt es als selbstverständlich, dass das Männliche im Tierreich dominiert, und dass Weibchen passiv sind und sich unterordnen. Männliche Tiere galten als promiskuitiv, während die Weibchen sich in Treue übten. Männchen konkurrierten um Macht und Sexualpartnerinnen, während die Weibchen alles erduldeten. Doch weit gefehlt! In ihrem im Malik Verlag erschienenen Buch Bitch – Ein revolutionärer Blick auf Sex, Evolution und die Macht des Weiblichen im Tierreich räumt die britische Zoologin und Wissenschaftsjournalistin Lucy Cooke mit überkommenen Vorstellungen von einer naturgegebenen Ungleichheit der Geschlechter auf.

Geschlechterrollen im Tierreich

Welches Geschlecht hat den stärkeren Sexualtrieb? Wer trifft die Partnerwahl? Wer kümmert sich um den Nachwuchs? Wer bekommt die leckersten Früchte und den besten Schlafplatz? Wer führt die Gruppe an? Das differiert von Art zu Art – mal sind es die Männchen und mal die Weibchen. Doch in der Geschichte der Wissenschaft versperrten männliche Vorurteile lange den Blick! Auch Charles Darwin tat sich schwer, seine Tierbeobachtungen richtig einzuordnen. Was dem Weltbild und den Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts widersprach, galt als Ausnahme, untypisches oder krankhaftes Verhalten. Inzwischen haben zahlreiche Studien gezeigt, dass es im Tierreich eine große Bandbreite an Rollen und Verhaltensweisen gibt – weit weg von unserem binären Denken vom Männlichen und Weiblichen.

In lockerem Tonfall beschreibt Cooke die Vielfalt der Lebensformen. Sie taucht ein in die Tiefen der Genetik und Geschlechtshormone und stellt Lebewesen vor, bei denen das Geschlecht nicht eindeutig ist oder im Laufe des Leben wechselt. Ausführlich erklärt sie die Mechanismen der Evolution, zum Beispiel die sexuelle Selektion, bei der die Männchen sich um ein Weibchen balgen, oder die Weibchen sich die Partner nach ihren Vorlieben aussuchen, nach Schönheit, bestem Gesang, tollstem Tanz etc. und so für die Weitergabe dieser Merkmale sorgen.

Wir begegnen Leierantilopen-Weibchen mit starkem Sexualtrieb, die um den besten Partner kämpfen, und brutalen Alpha-Weibchen bei den Erdmännchen. Wir treffen auf weibliche Spinnen, die die Männchen nach der Paarung verspeisen, und Clans, die von klugen Matriarchinnen angeführt werden, wie bei den Hyänen, Orcas und Elefanten. Cooke nimmt uns mit zu den Bonobos, die für beide Geschlechter offen sind, und nennt Beispiele für weibliche Untreue in der Vogelwelt. Sie untersucht den „Mythos Mutterinstinkt“ und stellt Fischarten vor, bei denen die Männchen sich um den Nachwuchs kümmern. Sie gibt Beispiele für Homosexualität, Dreiecksbeziehungen und Jungfernzeugung im Tierreich – das Leben ist so bunt!

Zahlreiche Rückblicke in die von Männern geprägte Wissenschaftsgeschichte belegen, wie schwer der Weg in eine vorurteilsfreie Forschung war. Ob es um weibliches Sexualverhalten, weibliche Aggressivität oder weibliche Geschlechtsorgane geht, sie wurden lange Zeit von Forschern vernachlässigt – im Fokus stand das Männliche. Cooke arbeitet sich vor allem an Charles Darwins Gedanken zur Evolution und an A. J. Batemans vorurteilsbelasteten Experimenten mit Fruchtfliegen ab. Sie sprach mit vielen Pionierinnen und renommierten Forscherinnen, die hart um die Anerkennung ihrer vom Mainstream abweichenden Erkenntnisse kämpften.

Macht mit Gewalt?

Anhand verschiedener Primaten belegt Cooke, dass Macht nicht unbedingt mit Gewalt einhergehen muss. Die schon erwähnten Bonobos zum Beispiel lösen Konflikte nicht durch Kampf, sondern mit Diplomatie, Sex oder sozialer Fellpflege. Die Forschung hat sich laut Cooke zu sehr auf gewalttätige Arten konzentriert und deren Verhalten als quasi naturgegeben auf uns Menschen übertragen.

Weg mit den Stereotypen!

Lucy Cooke wirft einen erfrischenden Blick auf Evolution und Geschlechterrollen. Sie fordert dazu auf, alte Rollenmodelle zu überdenken und Stereotype zu überwinden. Gerade weil das Verhalten von Tieren so gern auf uns Menschen übertragen wird, ist ein vorurteilsfreier Blick nötig. Ihr Buch ist keine leichte Kost, da viele Fachbegriffe verwendet werden, die sie nur teilweise erklärt. Dennoch – die Lektüre ist eine Bereicherung aufgrund der großen Bandbreite an Verhaltensweisen, die die Autorin mit unzähligen Beispielen belegt! Da ich mich für Wissenschaftsgeschichte, Biologie und besonders für die Evolution interessiere, komme ich mit diesem Buch voll auf meine Kosten!

Petra Wiemann betreibt den Sachbuch-Blog Elementares Lesen; ist Teil der Jury des Wissensbuch des Jahres der Zeitschrift bild der wissenschaft, für welche sie auch Rezensionen verfasst.

Lucy Cooke: Bitch – Ein revolutionärer Blick auf Sex, Evolution und die Macht des Weiblichen im Tierreich (OT: Bitch: A Revolutionary Guide to Sex, Evolution and the Female Animal); September 2023; Aus dem Englischen von Susanne Warmuth & Jorunn Wissmann; 432 Seiten; Hardcover, gebunden; ISBN 978-3-89029-582-4; Malik Verlag; 22,00 €

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