Die Nacht ist dunkel und voller Terror

Den meisten dürfte bekannt sein, woher dieser (leicht angepasste) Ausspruch kommt. Doch nicht nur fiktive rothaarige Frauen nutzen diesen Ausspruch, nein, er ist auch eine treffende Umschreibung sowohl wahrer Ereignisse Mitte der 1980er-Jahre in Kalifornien als auch einer Dokumentationsserie, die diese Ereignisse aufarbeitet und die, neben anderen Formaten, wiederum mich in anderthalb schlaflosen Nächten begleitete.

Teuflisch wahllos

Vom 10. April 1984 bis zum 24. August 1985 terrorisierte der 1960 in El Paso, Texas, geborene Ricardo Leyva Muñoz Ramirez Los Angeles: Er brach in Häuser ein, stahl, vergewaltigte, schändete und mordete scheinbar wahllos. Alter oder Geschlecht, sozioökonomischer Status oder ethnische Herkunft spielten keine Rolle. Sein erstes nachweisliches Opfer war ein neunjähriges Mädchen (dies jedoch noch in San Francisco, wohin er auch während seines vermeintlichen Blutrauschs immer mal wieder zurückkehrte); das erste Opfer in Los Angeles war die 79-jährige Jennie Vincow, die man am 28. Juni 1984 durch mehrere Stiche in Kopf, Nacken und Brust ermordet auffand.

Ermittler Frank Salerno in Episode 1 “Der Teufel in der Stadt der Engel” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

All jene, denen diese kurzen Beschreibungen bereits zu viel, zu brutal, zu grausam sein sollten, sollten an dieser Stelle aus dem Text aussteigen, denn die hier besprochene vierteilige Netflix-Dokumentation Night Stalker: The Hunt For a Serial Killer (dt.: Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder) geht nicht nur in wortreichen Beschreibungen sehr viel weiter, sondern vermittelt die Grausamkeit der Taten auch sehr explizit bildhaft.

Vielstimmige Aufarbeitung

Im Zentrum der von Tiller Russell and James Carroll inszenierten Doku-Mini-Serie, die bereits seit Januar 2021 verfügbar ist, stehen der Ermittler Frank Salerno und sein Kollege, der junge Kriminalbeamte Gil Carrillo vom Los Angeles County Sheriff’s Department. Salerno ist bereits eine Legende, war er es doch, der maßgeblich dazu beitrug den Hillside Strangler zu fassen. Oder besser die Hillside Stranglers, denn Salerno fand heraus, dass es sich um die Cousins Kenneth Bianchi und Angelo Buono handelte, die zwischen Oktober 1977 und Februar 1978 in Los Angeles mordeten.

Überlebende Anastasia Hronas Episode 1 “Der Teufel in der Stadt der Engel” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

In Night Stalker, wo, neben den beiden Ermittlern, unter anderem noch die Frau Carrillos, Pearl, die Kriminaltechnikerin Linda Arthur, die Reporterin Laurel Erikson, Ramirez’ Co-Verteidiger Arturo Hernandez, diverse Hinterbliebene sowie Anastasia Hronas, die als Sechsjährige die Entführung und Vergewaltigung durch Ramirez überlebte, zu Wort kommen, heißt es an einer Stelle: Sowas wie die Hillside Stranglers, das sei ein Fall, den gäbe es nur einmal im Leben („a once in a lifetime case“).

Das nächste Rodeo

Doch weit gefehlt, denn plötzlich heißt es: „Oh shit, here we go again.“ So flapsig das angesichts der grauenhaften Taten Ramirez’ (verurteilt wurde er für dreizehn Morde, fünf versuchte Morde, elfmal für sexuelle Gewalt und für vierzehn Einbruchdiebstähle) klingen mag, so ernst ist der Ton der insgesamt drei Stunden, die uns der Night Stalker oder viel eher die Geschichte seiner Ergreifung fesselt. 

Ermittler Gil Carrillo in Episode 4 “Fahndung” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

Dabei gehen die vier Folgen primär chronologisch vor, von einzelnen Sprüngen hier und da abgesehen, die aber primär dem Kontext dienen. Zu Beginn scheint alles fein im Staate Kalifornien und vor allem der Stadt der Engel, Los Angeles: Alle sind noch voller Begeisterung im Sommer `84 die Olympischen Spiele ausgerichtet zu haben, die Kriminalitätsrate ist auf den niedrigsten Stand ever gerutscht – läuft also. 

Bis es eben im Frühjahr 1985 nicht mehr läuft – am 17. März wird in Rosemead Dayle Yoshie Okazaki ermordet… ach und in Monterey Park Tsai-Lian „Veronica“ Yu. Gil Carrillo und Frank Salerno werden zu den Ermittlungen hinzugezogen und übernehmen hier schnell die Federführung. Sie brauchen nicht lange, bis ihnen klar wird, dass hier ein Serienmörder sein Unwesen treibt.

Ermittler vs. Reporterin

Schon allein das könnte mensch erstaunlich nennen, denn wie oben erwähnt mordete und vergewaltigte der Night Stalker, der auch mal als Valley Intruder und Walk-in-Killer betitelt wurde, es verfing dann aber eben der bekannte Name, wahllos. Mit mehr Taten wächst natürlich auch die Verunsicherung und mit der im Sommer über Los Angeles hereinbrechenden Hitzewelle, bricht sich auch immer mehr Unsicherheit und Panik bahn.

Die Reporterin Laurel Erikson in Episode 2 “Niemand ist sicher” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

Auch das schildert die Dokumentation ansehnlich: Wie ein ausgedehntes County in Unsicherheit aber nach und nach auch Wehrhaftigkeit gerät. Genauso wird auch das schwierige Verhältnis von Ermittlungsbehörden und Presse erläutert, wenn etwa Laurel Erikson weiß, dass der Killer immer dieselben Schuhe trägt, die in der Gegend quasi einmalig sind und diese Information publik machen möchte. Was den Ermittelnden natürlich auf die Füße fiele – also muss ein Deal gefunden werden.

Bad Boy Syndrom auf Steroiden*

Ebenso wird eindrücklich deutlich, wie sehr Fehden um Zuständigkeitsbereiche, Nachlässigkeit und Unbedachtheit (primär von Alphamännchen) wochen- und monatelange Ermittlungsarbeit ins Wanken bringen können. In Night Stalker wird klar, dass derselbe bereits früher hätte gefasst werden können, wenn ein anderes Department Salerno und Carrillo früher Zugang zu einem von Ramirez zurückgelassenen Wagen gegeben hätte. 

Ein Auto als wichtiges Beweismittel… (aus Episode 4 “Fahndung” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

So gab es nicht nur ein, sondern mehrere Pannen während dieser Manhunt, die in einer hochinteressanten vierten Folge ihren Abschluss findet. In dieser geht es auch um den Prozess und den Hype um diesen Killer, der Pentagramme am Tatort hinterließ und nach einem Mord auch mal auf den Teppich onanierte. Für viele hatte Ramirez einen unglaublichen Sexappeal. Er war groß, drahtig-schlank und mit geschlossenem Mund sah auch niemand seine kaputten, fauligen Zähne.

Neben all den durchaus schrecklichen Bildern, die wir hier zwischen Interviewsequenzen immer mal wieder zu sehen bekommen, gibt es eines, das in Erinnerungen bleiben dürfte: Die Kamera fährt langsam an einer Fotoaufnahme des Körpers von Ramirez hoch, landet dann auf seinem Gesicht, zoomt langsam heran und bleibt stehen.

Das Böse ist unter uns

Diese dunklen Augen, in denen Kriminaltechnikerin Linda Arthur das Böse sieht („Those eyes are terrible. There’s evil in that man, and you could sense it.“), mögen lange nachhallen, mögen manche*n Zuschauer*in begleiten, wenn sie oder er im Dunkeln durch Wohnung oder Haus tappen.

Richard Ramirez während des Prozesses gegen ihn in Episode 4 “Fahndung” von Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder // Cr. NETFLIX © 2021

Und doch: Bei Grindr (und Tinder und …) hätte Ramirez Erfolg gehabt. Heute würde er einen Teil seiner Opfer sicherlich auf anderen Wegen finden. Nicht umsonst dürfte sich Ryan Murphy in der neunten Staffel seiner Anthologie-Horror-Serie American Horror Story: 1984 entschieden haben, Richard Ramirez von Zach Villa spielen zu lassen. 

Auch wenn klar ist, dass, trotz manch arg schaulustiger Bilder, in Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder die Ermittlungen – und übrigens auch der Einfluss dieser auf das Leben der Kommissare und ihrer Familien – im Mittelpunkt stehen, wäre es beinahe wünschenswert gewesen, noch eine (kürzere) fünfte Folge zu haben, die eben diesen Hype um einen Killer in den Fokus nimmt. 

Einen Satanisten, oder jemanden der sich dafür hält, der im Gerichtssaal von Fangirls (und außerhalb diesem sicher auch Fanboys) angehimmelt wird, in denen er jedoch, wie es hier heißt, keine Gespielinnen sondern Abendessen sieht. Aber wer weiß, das mag ein Konzept für einen Dokumentarfilm sein. So oder so sticht diese durchaus harte, aber ausgewogene und auch für Kenner*innen des Night Stalkers hochgradig interessante True-Crime-Dokumentation positiv aus dem Wust der unzähligen ebensolcher positiv heraus und bietet einen guten Winternachmittagsbinge-Watch.

AS

PS: Im zweiten Absatz steht etwas von Ramirez’ „vermeintlichen Blutrauschs“ – es wird davon ausgegangen, dass der Night Stalker weit mehr als die nachgewiesenen fünfzehn Menschen ermordet hat.  

PPS: * Laurel Erikson (wäre das eine fiktive Figur, würden wir sicherlich sagen: natürlich nennen sie eine Reporterin genau SO!) sagt an einer Stelle, dass Richard Ramirez das „bad boy syndrome gone steroids“ war. Übrigens wird auch erwähnt, wie die Berichterstattung auch während des langwierigen Prozesses gegen ihn sie mitgenommen hat und welchen Tribut das eben auch fordert. 

Night Stalker: Auf der Jagd nach einem Serienmörder; USA 2021; Regie: Tiller Russell, James Carroll; Produktion: Tiller Russell, Tim Walsh, Eli Holzman, Aaron Saidman; Mit: Richard Ramirez, Gil Carrillo, Frank Salerno, Tony Valdez, Laurel Erickson, Paul Skolnick, Pearl Carrillo, Linda Arthur, Zoey Tur, Frank Falzon, Anastasia Hronas, Judith Kneiding Arnold, Colleen Nelson, Ester Petschar, Don Nelson, Patty Nelson, Glen Creason; vier Folgen à ca. 47 Minuten; FSK: 16; seit dem 13. Januar 2021 auf Netflix 

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