Da zieht was auf

Zugegeben, es erscheint widersinnig und wenig kreativ, einen Bildband zu rezensieren und dafür einfach nur den Text zu verwenden, den der Verlag auf den Buchrücken hat drucken lassen. Das gilt umso mehr, als dass solche Texte bekanntermaßen dem Verkauf eines Buches dienen – also möglichst wohlwollend formuliert sind, um den Absatz des Druckwerks zu steigern.

Silvretta, Österreich // © Peter Mathis/Prestel

Im Falle von Peter Mathis‘ Bildband mit dem simplen Namen Berge, der im August 2023 mit einem einleitenden Text des im Chiemgau wohnhaften Journalisten Malte Roeper bei Prestel erschienen ist, ist es jedoch so, dass dieser Buchrückentext bereits fast perfekt den Inhalt des Buches zusammenfasst. Es gibt auf den ersten Blick kaum mehr zu diesem Band zu sagen.

Ein heimlicher Star

Ein Blick in den Fotoband aber weckt doch einige Gedanken. Die Berge nämlich, die Mathis so fabulös ablichtet, zeigen uns die ganze Gewalt und Vielfalt der Natur, zumindest der alpinen und nordeuropäischen, wo die meisten Ablichtungen entstanden, aber auch steile Riesen auf den Färöer-Inseln, die majestätisch aus dem Meer ragen. Es gibt glatte Steilhänge, in denen sich Schneerinnen eingefurcht haben, glatte und halbe Seiten umfassende weiße Flächen, die sich von den nuancierten Grauschattierungen der Berge abheben. Manchmal ziehen sich gar Gletscher- oder Neuschneeebenen durch die meist menschenleeren Bilder, die erst einmal nichts zeigen als Weiß, aber durch die die Schattierungen und Kontraste der dunkleren Flächen erst so richtig zur Geltung kommen.

Tindholmur, Färöer Inseln // © Peter Mathis/Prestel

Das führt direkt zum nächsten Punkt: Der eigentliche Star auf vielen Bildern dieses Bandes sind nicht die Berge, sondern es ist ein ganz anderes Element: Es ist das Wasser. Egal, ob es in Form von Schnee, Eis, Gletscher, Nebel, Wolken, Fluss, See, Meer oder Gischt auftaucht, erst das Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen ermöglicht auf vielen der Fotografien – vor allem denen, die in Europa aufgenommen wurden – die Kontraste, die die ansonsten grauen oder zumindest grau abgebildeten Berge so faszinierend machen.

Sandgrau

Ein Bild ist mir in besonderer Erinnerung und auch das hat mit Wasser zu tun. Bei Peter Mathis ist es nicht zu sehen, kann es gar nicht, denn es entstammt meinem Gedächtnis. Und es ist aus einem sehr trockenen Gebiet, nämlich von der Spitzkoppe in Namibia – deren braunes Sandsteinmassiv sich wiederum in Grau bei Mathis wiederfindet.

Spitzkoppe, Namibia // © Peter Mathis/Prestel

Ich stand vor rund zehn Jahren auf der Spitzkoppe und blickte mit meinen Begleiterinnen und Begleitern hinab auf das trockene und karge Steppenland. Gleichsam konnten wir Linien erkennen: Bäume, Sträucher, Grün. Es handelte sich (wohl) um die unterirdischen Wasserläufe, die zumindest ein wenig Leben ermöglichen.

Spiel der Natur

Warum erzähle ich das? Es geht um den Perspektivwechsel. Peter Mathis fängt mit seiner Kamera einzelne Momente ein, die je nach Licht, Tageszeit und Wetter anders sein können. Er hält sie im Brennglas fest, so, wie auch Bilder sich in unseren Köpfen festbrennen.

Urner Alpen, Schweiz // © Peter Mathis/Prestel

Einige wenige Male erläutert Mathis in Texten von einer Seite Länge das auf der folgenden Seite abgebildete Foto, wie es zu diesem kam, welche Entscheidungen er zu treffen hatte, welche Strapazen er auf sich nehmen musste, um gerade dieses Foto zu schießen. Die Spannung auf das nach dem Umblättern erscheinende Bild steigert sich daraufhin so dramatisch, wie manch eine nebelumhüllte Szene, die sich in diesem Prachtband findet.

Wie auf einer Bergwanderung

Ist es also wohlfeil, sich dessen zu bedienen, was Marketingstrategen in den Verlagshäusern dieser Republik auf den Buchrücken eines Buches drucken, wie ich eingangs andeutete? Vielleicht, aber gute Arbeit kann mensch auch anerkennen. Wenn einem dennoch weiterhin eigene Gedanken kommen, so wie mir bei der Durchsicht dieses Fotobandes, dann ist doch eigentlich alles in Ordnung.

Bardenas Reales, Spanien // © Peter Mathis/Prestel

Anzuerkennen ist aber auch die Quelle dieser Inspiration und das ist die Arbeit und Mühe, die sich Peter Mathis mit Berge gemacht hat. Auch wenn es keinen offen dargelegten Roten (oder besser: Grauen) Faden gibt – weder zeitlich, noch geographisch oder auf andere Weise –, ist dieser Band wie eine Wanderung in den Alpen: Wenn du eine Kuppe oder eine Kurve nimmst, dann kann dahinter ein wunderbares Panorama stecken oder auch ein tiefer Abgrund. Was wir wirklich finden, wissen wir erst, wenn wir den Blick dorthin werfen, wo wir gerade nicht sehen können.

HMS

Peter Mathis Berge

Peter Mathis Berge – Grandiose Naturfotografie von den Alpen bis zum Himalaya; mit einem Vorwort von Malte Roeper; August 2023; 176 Seiten mit 92 Schwarz-Weiß-Fotografien; Pappband, gebunden; Format: 29,0 x 31,0 cm; ISBN: 978-3-7913-8977-6; Prestel Verlag; 59,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert