Jetzt ist es raus: Trans* ist wie ein mittelalterlicher christlicher Kult

Von Nora Eckert

Noch mehr solcher bahnbrechenden Erkenntnisse schenkt uns die britische Philosophin und überzeugte genderkritische Feministin Jane Clare Jones im Jahrbuch Sexualitäten 2021. Ihr Name wird in die trans*Geschichte eingehen, denn sie hat uns zur Glaubensgemeinschaft zusammengeschweißt und das trans*Sein zur Weltreligion erhoben. Da stehen wir nun mit unserer weltumspannenden trans*Religion. Gut, sie heißt bei Jones vorzugsweise Ideologie, aber für sie als genderkritische Feministin ist Ideologie sozusagen ein Heimspiel. An der Seite ihrer global agierenden Mitstreiterinnen befindet sich Jones zudem im Kriegszustand mit dem trans*Aktivismus. Dem ärgsten und übelsten Feind überhaupt – der kommt sogar noch vor dem Patriarchat. Sollte allerdings jemand auf die Idee kommen, sie TERF zu nennen, also Trans-Exclusionary Radical Feminist, dann wird sie noch böser, denn das sei ja nun pure Diffamierung. Wie heißt es bei Hamlet? „Dies mag zwar Irrsinn sein, hat aber doch Methode.“

Das 30 Seiten umfassende Gespräch führte Vojin Saša Vukadinović, den wir längst als Sprachrohr und Verehrer genderkritischer Feministinnen kennen, und der keine Gelegenheit auslässt, für sie ein gutes Wort einzulegen gegen all die bösen Transmenschen und ihr Mobbing-Regime – sei es in der ZEIT oder in der FAZ oder wo auch immer. Also durchaus mit Niveau und trotzdem völlig schief gewickelt. Dass sich die trans*Community empört über die feindliche Gesinnung von Leuten, die uns als verkleidete Männer beziehungsweise Frauen titulieren, das wiederum empört Vukadinović. In einem Zeitungskommentar las ich neulich, man könne sich leicht über die Empörung empören, doch habe das „etwas Scheinheiliges und Herablassendes. Denn es praktiziert seinerseits den Moralismus den es den Empörten unterstellt, freilich getarnt mit intellektuellem Dünkel“.

Darf man aber wenigstens erstaunt sein, auf ein solches Interview ausgerechnet in dem von Queer Nations im Wallstein Verlag herausgegebenen Jahrbuch Sexualitäten zu stoßen? Nein, denn wir erinnern uns, worum es dieser Initiative von Anfang an ging: um Diskursoffenheit und wohl auch um so etwas wie Streitkultur. Damit sollte der Meinungsaustausch in der LSBTI*Community mit konfrontativem Mut befruchtet werden. Habt euch gefälligst nicht so mimosenhaft, schließlich gibt es Schienbein-Schoner. Gut der Streit ist da, aber warum sparen wir uns die Kultur (sprich gute Manieren und Fairness), die wir alle schätzen? Und dabei wollte Queer Nations sogar ein queeres Kulturhaus eröffnen (die Idee ist wirklich gut, aber wohl inzwischen begraben). Wahrscheinlich konnte man die Geldgeber nicht davon überzeugen, dass in ein solches Haus auch ein Boxring gehört. Über das „vorläufige Scheitern“ informiert im Übrigen ein Beitrag im Jahrbuch.

Doch der Reihe nach. Das neueste Jahrbuch ist bereits die Nummer Sechs seit 2016. Eingehüllt ist der solide hergestellte Band in einen ansprechend grünen Schutzumschlag und das Innere signalisiert gleichermaßen tadellos dargebotene, mit reichlich Fußnoten gewappnete Wissenschaftlichkeit. Es geht akademisch zu bei der Diskussion um die menschliche Sexualität, die der Titel im Plural nennt. Innen drin dominiert indes männlich und schwul. Das Diskursspektrum könnte ich mir wie die Besetzung des Podiums jedenfalls vielfältiger vorstellen. Dann ergäbe wenigstens der Plural im Titel mehr Sinn.

Dem Thema trans* sind immerhin drei Beiträge gewidmet: Zum einen das erwähnte Gespräch, das eigentlich einen Anti-trans*-Diskurs wiedergibt, bei dem ich mich frage, ob es wohl erlaubt sei, in dieser Weise auch über Schwule im Jahrbuch zu schwadronieren. Der zweite Beitrag stammt von Till Amelung, den wir schon oft als Bedenkenträger erlebt haben. Er geriert sich als ein Mann der Mäßigung – hoppla, als ein Mann? Jones & Co. zufolge müsste ich eigentlich von einer verkleideten Frau sprechen (und nach EMMA-Manier auch noch den abgelegten Frauennamen benutzen). Sein Beitrag ist überschrieben mit „Politische Hybris. Wie der Transaktivismus seine Erfolge zu verspielen droht“ – ich möchte sagen, ein typischer Amelung-Titel.

Dabei kritisiert er durchaus zu Recht die Auswüchse, die sich vorzugsweise in den Social Media beobachten lassen. Sie zeugen meines Erachtens nicht von zu viel, sondern von zu wenig Selbstbewusstsein. Diesen Mangel durch maßlose Forderungen und ein denunziatorisches Gehabe kompensieren zu wollen, ist mit Sicherheit der falsche Weg. Aber auf genau dem Weg sind, wie das Interview mit Jones veranschaulicht, auch ein Teil der Feministinnen unterwegs und nicht erst seit heute. Oder haben wir vergessen, dass trans* schon in den 1970er Jahren allen Ernstes als patriarchale Verschwörung gegen Frauen angeprangert wurde? Die Ausgrenzung von trans* und die offene Feindschaft hat eine lange Geschichte – und da waren wir noch fast unsichtbar, waren kaum als Bewegung erkennbar.

Ist die trans*Bewegung am Ende sogar noch schuld am Aufstieg der Rechten? Sind wir sozusagen der Motor ihrer Mobilisierung? Das kann in letzter Konsequenz nur heißen, unsere Schuld besteht darin, überhaupt zu existieren. Will man einem der wenigen von einer weiblichen Person stammenden Texte glauben, scheint das so zu sein. Eszter Kováts geht in „Zwischen Phobien und Hegemonien“ der Frage nach, wie das Feindbild Gender entstehen und als Genderideologie verhöhnt werden konnte. Unklar bleibt, wie der Kampf gegen die politische Rechte denn zu führen sei, außer dass wir den für Kováts so offensichtlich „monologischen, subjektivischen und dogmatischen Charakter der neuesten Genderforderung“ dringend mit Selbstkritik begegnen sollten. Rettet uns Revisionismus? Ein Kommando zurück, damit all die populistischen Rechten à la Viktor Orbán nicht mehr böse auf uns sind? Jedenfalls plagt Kováts die Angst, dass wir zu „nützlichen Idioten der Rechten werden“. Nein, der Kampf um Anerkennung funktioniert nicht in der Duckhaltung.

Duckhaltung ist das Stichwort, um noch einmal auf Jane Clare Jones zurückzukommen und um ein paar Highlights aus ihrer bizarren Gedankenwelt zu präsentieren. Mir fällt hier gerade Claire Waldoff ein, eine Lesbe von Format aus jenen wilden Zwanzigern, die einst sang „Wer schmeißt denn da mit Lehm?“  Wenn es was anderes sein soll, aber durchaus lehmähnlich, wie wäre es damit: Jones nennt das genderkritische Projekt die „Rezentrierung der Interessen von Frauen in Theorie und Praxis“ – oder anders gesagt, Frauen wollen an ihren Genitalien erkannt werden und echt ist nur, wer mit Vulva geboren wurde. Was ist eigentlich Sexismus, frage ich mich an dieser Stelle. Wer dagegen sein eigenes Selbstbild anderen aufzwinge, was Transmenschen unentwegt tun, sei dominant „maskulinistisch“. Weshalb sie trans*Aktivismus als Fortsetzung männlicher Macht mit anderen Mitteln deutet – er sei schlichtweg totalitär und darum eine „Transideologie“. Die aktivistische Strategie basiere darauf, „nicht zu debattieren, alles hinter verschlossenen Türen auszuhandeln und jede, die nicht ihrer Meinung ist, zu etikettieren und anzuschmieren“. Und weiter: „Metaphysisch gesprochen ist Transideologie eine Art Christentum, einem mittelalterlichen christlichen Kult nicht unähnlich.“ „Transaktivismus dreht sich vornehmlich um Sünde und Häresie, um das Verbrennen von Hexen im übertragenen Sinne und um Reinhaltung […].“ Es sei zudem ein messianischer Kult. „Es handelt sich um das Transzendieren des Körpers durch Seele und die Wiedergeburt des Körpers unter der Souveränität der Seele.“ Sie mokiert sich über den Slogan, Transfrauen seien Frauen, Transmänner seien Männer und nicht-binär gebe es. Jones interpretiert es als „Dreifaltigkeit“ und damit als im Grunde „liturgisch oder katechetisch“, worauf sie nur mit einem Amen antworten könne.

Jones und ihre Mitkämpferinnen bestreiten, dass es eine angeborene Geschlechtsidentität gebe und wir trans* geboren werden. Genau hier liegt der Hund begraben. Denn ihr biologistisches Weltbild kennt nur Genitalien. Dabei hat die Neurobiologie das, was Geschlechtsidentität genannt wird und Jones als Seele missversteht, längst als biologisches Faktum erkannt, ohne bereits sagen zu können, wie die „Programmierung“ eigentlich aussieht (mit Sicherheit aber nicht wie das kulturell Konstruierte von Gender). Wir sollten außerdem nicht vergessen, dass es da noch ein paar Instinkte aus unserer tierischen Vorgeschichte gibt. Gegen Biologie ist überhaupt nichts einzuwenden, nur dann bitte die ganze! Der schon etwas ältere Lehrsatz lautet jedenfalls: Das zentrale Sexualorgan des Menschen sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen. Für genderkritische Feministinnen ist das unannehmbar, weil sie Essenzialismus wittern, den sie meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Jones bemüht gar noch Martin Heidegger mit der Aussage, Existenz stehe vor Essenz. Weniger abstrakt ausgedrückt, könnte man auch sagen: die Natur kommt vor der Kultur, was eine unbestreitbare Tatsache ist. Nun ist aber das Wissen um unsere Weiblichkeit oder Männlichkeit Teil der menschlichen Natur. Das Gehirn ist nichts Immaterielles und seine Funktionen und Speicherungen beruhen auf erkennbaren Strukturen und auf chemisch-physikalischen Prozessen. Lassen wir Frau Jones in ihrer wirren Weltwahrnehmung und in ihrem Glück eines selektiven Blicks, der untern Tisch kehrt, was nicht ins Bild passt, aber dass all dieser Modder ausgerechnet im „Jahrbuch Sexualitäten“ abgedruckt wurde, ist bitter. Susan Stryker hatte diese buchstäblich eingefleischte Feindschaft mit Xenophobie verglichen, „als politisch reaktionäre Position im Gleichklang mit anderen Reinheitspolitiken“. Was Jones trans* vorwirft, praktiziert sie selbst – Reinheitspolitik und mythisches Denken.

Zum Schluss noch ein paar Lichtblicke: Da wäre Peter Rauschs Erzählung „Johannes im Johannis-Eck“ aus den späten 1970ern zu erwähnen, die vom Schwulsein in Ost-Berlin handelt, versehen mit einer instruktiven Einleitung von Benedikt Wolf, der über die Rolle des Außenseiters in der sozialistischen Literatur und Gesellschaft aufklärt und daran erinnert, wie konsequent das Thema in der DDR ausgeklammert blieb.

Wie schon erwähnt, dominieren die Beiträge zu schwulen Themen, sei es ein historisch-kritischer Beitrag zur Pädophilen-Debatte der 1970er Jahre von Jan-Hendrik Friedrichs, bei der viele nicht zwischen sexueller Befreiung und Kindesmissbrauch unterscheiden konnten. Oder sei es der Guy Hocquenghems 1974 auf Deutsch erschienenem Buch Das homosexuelle Begehren gewidmete Beitrag von Antoine Idier. Das Buch erlangte schon bald Kultstatus und prägte wesentlich die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Schwulsein während der hedonistischen Ära. Wobei zugleich in den Blick kommt, wie interessant dieses Jahrzehnt mittlerweile für uns heute geworden ist, nämlich als eine Zeit der beginnenden Emanzipationsbewegungen unter dem Stern einer sexuellen Revolution.

In diesen Zusammenhang passt auch Aaron Lahls Aufsatz „Das Veralten der sexualutopischen Psychoanalyse?“. Im Zentrum des Textes stehen Herbert Marcuse und seine höchst einflussreiche Studie „Eros and Civilization“ von 1955, die Lahl als groß angelegter Gegenentwurf zu Freuds Kulturtheorie beschreibt und analysiert. Für jemanden wie mich, die ihre Jugend in den 1970er Jahren verbrachte und sich durch die revoltierenden Studenten der Spätsechziger politisieren ließ, für mich zählte Marcuse noch mehr als die Frankfurter Schule eines Adorno und Horkheimer zu meinen Helden in jenen hedonistischen Tagen. Übrigens stand er neben Ernst Bloch, der zweiten großen Vater-Figur, der ebenfalls einen festen Platz in meinem Denken einnahm. Seine Utopieverliebtheit war als „Prinzip Hoffnung“ einfach ansteckend und sein Begriff des „antizipierenden Bewusstseins“ klang so vielversprechend wie Marcuses Botschaft. Ja, die Revolution müsse etwas mit Sinnlichkeit und Eros zu tun haben. Die Spur ging dann weiter über Foucault hin zu Judith Butler. Jedenfalls erhob Marcuse den Eros „zum Leitbild für emanzipatorische Interventionen und utopische Entwürfe“. Doch die Zeiten ändern sich. Damals lebten wir den Aufbruch als lustvolle Selbstfeier, heute leiden wir an genderkritischer Diarrhö.

Nora Eckert ist Publizistin und Ausführender Vorstand bei TransInterQueer e. V.

Jahrbuch Sexualitäten 2021; Hg. im Auftrag der Initiative Queer Nations von Melanie Babenhauserheide, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen und Benedikt Wolf; 1. Auflage, Juli 2021; Hardcover gebunden mit Schutzumschlag; 304 Seiten mit 15 Abbildungen; ISBN: 978-3-8353-5023-6; Wallstein Verlag; 34,90 €; auch als eBook erhältlich

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author