Gegen Null

Oft wird behauptet, dass bestimmte Ereignisse oder Entwicklungen eine neue Ära einleiten. Fast immer ist das übertrieben. Bei Prometheus oder Jesus war das vermutlich anders, bei der Entwicklung der Atombombe wohl auch. Während Prometheus den Menschen das Feuer brachte, startete Jesus eine neue Zeitrechnung. Und auch die Atombombe läutete eine neue Ära ein, das nukleare Zeitalter und den Kalten Krieg.

Als Vater der Atombombe gilt der amerikanische Physiker J. Robert Oppenheimer, der das Manhattan Project fachlich anleitete, Die Geschichte dieses Mannes erzählt der nach ihm benannte Film Oppenheimer von Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan, der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt und 2024 ein heißer Anwärter auf den einen oder anderen Oscar sein dürfte.

Ein Mann prägt die Welt

Oppenheimer handelt natürlich vom Manhattan Project, setzt aber weit früher an. Bereits im Studium ist klar, dass Robert Oppenheimer, im Film sehr überzeugend dargestellt von Cillian Murphy, ein brillanter Geist ist, ein Pionier auf dem Gebiet der Quantenphysik ist und diesen Fachbereich prägen wird. Der spätere Antagonist Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) holt Oppenheimer nach Princeton, soll aber schnell ein zwiegespaltenes Verhältnis zu seinem Schützling haben.

© Universal Pictures. All Rights Reserved.

Ausgewählt für das Projekt wurde Oppenheimer vom Ingenieur und Brigadegeneral Leslie Groves Jr. (Matt Damon), der die offizielle Leitung des Manhattan Projects innehatte. Dezent problematisch waren dabei Oppenheimers recht offen linke Gesinnung, die in Sympathien für kommunistische Ideen mündeten – und eine Liebschaft mit der bekennenden Kommunistin Jean Tatlock (Florence Pugh) vor Oppenheimer Ehe mit seiner Frau Kitty (Emily Blunt). Vor allem in späteren Jahren sollten diese Sympathien und vielleicht sogar Verstrickungen noch problematisch für Oppenheimer und sein Umfeld werden.

From Zero to Hero

Auch wenn der Kern des Films die Arbeiten an der Atombombe und dem ersten Test einer solchen, der Trinity (hier also tatsächlich ein Gottesbezug), ist, Nolans Film befasst sich mit weit mehr als dem. Nach dem Test nämlich, als es zum Einsatz der Bomben in Japan kam, war Oppenheimer bereits klar, welche Bedeutung seine Arbeiten und seine Forschungen für die Welt und die Menschheit haben sollten.

Während der Arbeiten am Projekt vollkommen fokussiert auf die Entwicklung, ging es Oppenheimer danach vor allem um das Vermächtnis seiner Forschung, das er nach und nach erkannte. Nach der Physik kommen hier also Ethik und Moral ins Spiel. Die von Nolan über weite Strecken des Films gewählte Ich-Perspektive versetzt uns direkt und einfühlsam in Oppenheimers Gefühls- und Gedankenwelt und schafft somit eine schier unglaubliche Identifikationsbasis der Zuschauerinnen und Zuschauer mit dem Protagonisten dieses Films.

Schnitte im Stakkato

Dazu tragen auch die exzellente Kameraführung (Hoyte van Hoytema) sowie die konstanten und eng getakteten Schnitte (Jeniffer Lame) bei, die Oppenheimer fast schon zu einem Thriller machen, der uns nicht mehr loslassen will. Der Effekt einer massiven Explosion – sie muss ja nicht gleich thermonuklear sein – nimmt uns also vollkommen in seinen Bann und gibt uns auch kaum Gelegenheit zu reflektieren oder das Gesehene kurz sacken zu lassen. Insoweit ist das Publikum von diesem Stakkato an Informationen zwar sehr eingenommen, aber es ist angesichts von drei Stunden Laufzeit auch wirklich viel, was es zu verdauen hat.

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Das wird auch durch die grandiose Musik von Ludwig Göransson unterstrichen. Diese läuft fast fortwährend im Hintergrund, ist fast immer passgenau und auch hier gibt es nur sehr wenige – dafür entscheidende – Momente der Stille. Sowohl optisch als auch visuell spricht Oppenheimer also unsere Sinne durchgehend und durchdringend an.

In einer neuen Welt

Darunter leiden auch die Story oder die tiefere Botschaft nicht. Wie bereits eingangs angedeutet, ist durch die Entwicklung der Atombombe eine neue Zeitrechnung angebrochen und de facto eine neue Weltordnung entstanden. Die USA wurden dank Oppenheimers Arbeit endgültig zur Weltmacht, der Kalte Krieg mit den Sowjets hat aber auch durch die Entwicklung thermonuklearer Waffen so richtig an Fahrt aufgenommen.

Wie bereits dargestellt, Oppenheimer scheint das Ausmaß seiner Arbeit zunehmend bewusst geworden zu sein und in ihm – Murphy verkörpert dies wirklich fantastisch – spiegelt sich die ganze Ambiguität der Atombombe wider: Erst gefeierter Held, auf dem Cover des Time Magazine, „Vater der Atombombe“.

From Hero to Zero

Dann ein grandios von Nolan inszenierter Termin bei US-Präsident Truman (Gary Oldman), der für Oppenheimer und den Film zum Wendepunkt werden soll. Denn gleichzeitig mit der Entwicklung der bis dahin größten Massenvernichtungswaffe hat Oppenheimer auch den Startschuss für ein nukleares Wettrüsten abgefeuert, das bis heute unsere globale Sicherheitsarchitektur prägt – und so manch eine Äußerung russischer Potentaten.

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Nolan und sein Team inszenieren diese Zwiespältigkeit grandios, Oppenheimer wird zum gefallenen Helden, der sich einer rufmordernden Intrige seines früheren Förderers Strauss ausgesetzt sieht, damit dieser seine eigenen Ambitionen vorantreiben kann. Diese Abschnitte setzt Nolan in aufwändig produzierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen hervorragend um und gibt der Handlung so einen bitteren und dennoch fesselnden Rahmen.

Fissile, äh fesselnde Materie

Alles in allem ist Oppenheimer somit ein überaus fesselnder Film nach der Romanvorlage von Kai Bird und Martin J. Sherwin, in Deutschland erschienen unter dem Titel J. Robert Oppenheimer – Die Biografie (Übersetzung: Klaus Binder und Peter Leineweber) bei Propyläen (Hardcover) sowie List Taschenbuch. Die fesselnde Story gibt die zwiespältige Geschichte eines Mannes wieder, der unser aller Leben entscheidend beeinflusste, zum Helden wurde und von denen, die ihm zum Helden machten, später aber jedoch seine Glaubwürdigkeit gegen Null zu drücken suchten, verraten wurde.

Das alles wird unterstützt durch schnelle Schnitte, eine herausragende Kameraführung, passgenaue Kostüme, Darstellerinnen und Darsteller, die sich bis ins Detail in ihre Figuren einfühlen und eine Musik, die den Rhythmus des Films immer wieder gekonnt reguliert. Oppenheimer ist eines der großen Highlights dieses Kinosommers und erzählt vom Beginn des nuklearen Zeitalters. In Deutschland sprechen wir vom Ende des Zweiten Weltkriegs oft als Stunde Null und es ist gerechtfertigt zu sagen, dass Oppenheimer auch einen Nullpunkt in unser aller Leben gesetzt hat.

HMS

Oppenheimer startet am heutigen Donnerstag in unseren Kinos

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