Post (von) Covid

„Ach Du Heiliger, was hast Du nochmal gesagt, wie alt bist Du?“

Meine liebe Kollegin Silke sieht mich in Woche 5 das erste Mal wieder. Und nein ich habe ihr gerade nicht versucht zu erklären, dass ich ein 54 Jähriger im Körper eines 84 jährigen bin. Sie hat mir nur dabei zugesehen, wie ich aus dem Auto gestiegen bin und den Hund aus dem Wagen gelassen habe. Schnell wird klar, dass diese gemeinsame Hunderunde, meine erste etwas größere seit langem, genau das allerdings nicht werden wird – Schnell

Und so tapsen wir gemütlich los vom Parkplatz, bergauf in den Wald. Langsam geht’s, aber es geht wenigstens. Vor zwei Wochen wäre das undenkbar gewesen. Der Hund genießt es und verschwindet der Leine zum Trotz im Unterholz. Als er wieder rauskommt ist er voller Blätter und n bisschen Dreck im Pelz aber wenigstens hat er die Leine nicht gleich um drei Bäume gewickelt. 

Was diese Runde so besonders macht, dass ich sie anspreche? Es ist doch nichts Besonderes mit 54 seinen Hund mittags im Wald auszuführen. Doch. Ist es. Für mich. Dieses Drecks C hat mich so geschafft, dass ich manchmal zu Hause schon am Ende der Treppe japse, als hätte ich gerade einen Hundertmetersprint hinter mich gebracht. Unnötig zu sagen, dass es in diesem Zustand auch kaum möglich war einen vollen Wäschekorb zu tragen. Also geht die kluge Schwuppe von heute mehrfach und nimmt jedes Mal Teile mit. 

Und genau deshalb ist diese Hunderunde auch etwas Besonderes. Es geht bergab aber auch leicht bergauf und mitten drin liegt eine üble Steigung, die ich noch aus dem Sportunterricht kenne. Da musste ich sie allerdings rauf rennen, was ich weder konnte noch wollte. Heute werde ich sie langsam heraufgehen. Allerdings mit Stehenbleiben, Luftholen und kurze Pause mittendrin. 

Und noch während ich da so stehe kommt mir so eine Phrase von einem Heterobullen in den Kopf, der mittlerweile wie man hört seinen 8-Pack-Körper und angeblichen Monsterpimmel in einem OnlyFans-Kanal vermarktet. Hier steckt er sich vor der Kamera Buttplugs mit Hunderute in den Hintern, um seiner (vermeintlich) queeren Fangemeinde zu geben, was sie von ihm will. Fleisch, Fitness und Sex. Als er im Dschungel noch vor Millionen das Experiment der Selbsterfahrung machte, da hieß es noch „strong, healthy and full of energy“.

Und doch hat er mit dieser Strategie ja genau das bedient, was so stereotyp in der Community verankert ist. Alles schick, alles healthy und soooowas voll mit energy. Er lebt einen vermeintlichen Traum, der davon erzählt, dass es so leicht und mit ein klein bisschen Disziplin ganz easy ist, gesund und fit zu sein. 

Leicht? WTF!

Hier stehe ich an einem leichten Hügel und brauche eine Atempause, weil mein verkackter Körper von diesem Drecksvirus lahm gelegt worden ist, den der gesunde Querdenker und Leugner ja gar nicht anerkennt. Den gibt’s ja gar nicht. Und wie es den gibt. 

Meine Kollegin mustert mich: „Geht’s wieder?“

Tapfer nicke ich, und wir setzen unseren Weg fort. 

Ich will ja gar nicht durch den Wald sprinten. Wollte ich als Jugendlicher schon nicht. Aber zumindest in dem zügigen Tempo, das der Hund anschlagen möchte, das wäre schon schön und wäre meinem Alter entsprechend auch angemessen. 

Als wir wieder in unseren Autos sitzen und ich Silke davon fahren sehe, horche ich mal so in mich rein. Ich fühle mich platt, erledigt und durch. Ein anderer Wagen kommt auf den Parkplatz gefahren und es steigt ein Bild von einem Kerl aus, bärtig, leicht muskulös, in engen Sportklamotten. Er dehnt sich am Auto und läuft bald drauf los. Einen kurzen Blick wirft er in meinen Wagen und läuft weiter. Hat der mich gerade tatsächlich mitleidig angesehen? Ein bedauernder Blick stellvertretend für diese ganze Community, die ja ach so gesund und fit ist? 

Aus dem Auto zu steigen und ihm hinterherbrüllen würde nichts bringen, denn bis ich draußen wäre, ist der n Kilometer weg. Also gebe ich mich wieder dem Gedanken hin, wie mich denn wohl die Community einschätzen würde. Schwach, angegriffen, sicherlich nicht begehrenswert und vor allem eines: Krank. 

Ja Und? 

Irgendwas sagt mir, dass ich diesen letzten Gedankengang in den kommenden Wochen wohl besser weiterdenken sollte. 

Es bleibt spannend.

Frank Hebenstreit

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