Es muss nicht noch stiller werden

Wir merken es: Der Frühling ist da, wenn, soweit wir hören, er im verregneten München auch noch ein wenig zögerlicher aufkommt, ist’s im sonnigen Berlin schon recht bunt, morgens klingen vermehrt Vögel und während ich diesen Text schreibe, picken zwei Haussperlinge aka Spatzen an einem der mit Lavendel, Gräsern und Co. bepflanzten Blumenkästen am Balkon herum. Zwar nehme ich nicht an der heute startenden 19. Edition der Stunde der Gartenvögel — der großen vom Naturschutzbund (NABU) initiierten Vogelzählung — teil, doch erfreut mich der Anblick der gefiederten Freunde in den Bäumen der Nachbarschaft wie auf den wenigen mit Pflanzen versehenen Balkonen jedes Mal sehr. 

Durchs Jahr mit den Vögeln

So ist es ein Leichtes, die Begeisterung für das Anlocken, Füttern und Beobachten von Vögeln des 1943 geborenen Naturfilmers und -fotografen Heinz Schmidbauer nachzuvollziehen. Da er mit seinem Hobby dank eines üppig ausgestatteten, naturnahen Gartens auch etwas für die Umwelt und Arterhaltung tut, gibt’s nochmals einen Meisenknödel zusätzlich in die Halterung. Festgehalten hat er diese Liebe zu den Tieren und ihrer Vielfalt, die er mit seiner Frau teilt, in dem bereits im vergangenen Frühjahr im Verlag Frederking & Thaler erschienen Band Ein Garten voller Vögel. Paradiese schaffen — der Vielfalt ein Zuhause bieten.

Erntezeit: Ein Rotkehlchen nascht an einer Traubenkirsche. In diesem Kapitel gibt es neben Vogel- auch Farbvielfalt. Quasi Alle Farben des Gartens. // Foto: © Heinz Schmidbauer

Auf über 200 Seiten und mit ebenso vielen gut kommentierten Fotografien führt uns Schmidbauer nach einem appellierenden Vorwort von Hannes Jaenicke, in welchem er die zurückgehenden Vogelbestände, die hochindustrialisierte Landwirtschaft und das Insektensterben durch Pestizide beklagt (und die Wichtigkeit der NABU-Vogelzählung hervorhebt) sowie einer Einleitung, die dazu dient, ihn, seinen Garten und dessen Lage („Die örtliche Lage erwies sich als günstig. In unmittelbarer Nähe fließt die Isar vorbei, wenn auch nicht als wilder Fluss, sondern als gezähmter Kanal in einem Betonbett, aber immerhin eingefasst mit etwa achtzig Jahren altem Baumbestand.“) und seine Leidenschaft besser kennenzulernen, in fünf Kapiteln durch das Garten- und Vogeljahr. 

Dabei beginnen wir in der Frühlingszeit, treffen auf die in unseren Graden verbreiteteren Vogelarten wie die Amsel, diverse Meisenarten, den Buntspecht, das vielseitige Rotkehlchen (das als Gourmet Pinienkerne liebt und dank seines Frühaufsteher-Und-Spätzubettgeher-Verhaltens ein recht robuster Standvogel ist), dem Waldlaubsänger (der Drag Queen unter diesen Vögeln) oder den von Heinz Schmidbauer geschätzten, aufmüpfig-dominanten Kleiber.

Der Kleiber an der Front

Diesem begegnen wir auch in jedem Kapitel mit einem zum Thema passenden Text unter dem Titel „Der Kleiber in Aktion“. So wird im Kapitel Hochzeit, in dem es um Revierkämpfe, die Balz und die Brutplatzsuche geht („da wird kräftig geschmettert, getrillert und geflötet“ — und bei Erfolg gevögelt), erläutert, wie der Kleiber andere Vögel aus ihren Behausungen rausekelt und diese zu seiner macht (er würde Berlin also lieben!). Im darauf folgenden Kapitel Elternzeit wiederum erfahren wir, wie der pfiffige Natur-Bully mit einem aus Lehm und seinem Speichel hergestellten Mörtel seine Höhlenöffnung anpasst und sie so vor Fressfeinden schützt.

„Ob in der Vertikalen, mit dem Kopf nach unten, hoch aufgerichtet wie ein Langhals oder in der Horizontalen mit dem Kopf in der seitlichen Ruhelage – unser Kleiber ist der perfekte Clown, und nur ihm gebührt die volle Punktzahl in der Haltungsnote“, schreibt Heinz Schmidbauer über seinen Vogelfavoriten // Foto: © Heinz Schmidbauer

Wenn sich dann aber doch, wie im Kapitel Jugendzeit zu lesen ist, eine Spatzenschar zusammenschließt, um dem Gebaren des Kleibers an der Futterstelle etwas entgegenzusetzen, dreht sich die Rollenverteilung schnell — etwas, das Schmidbauer in beeindruckenden Bildern zu zeigen weiß. Am Ende gibt es einen Waffenstillstand. 

Es ist so erstaunlich wie wunderbar, welch Vielfalt an Vögeln, an Verhaltensweisen sowie an Merkmalen sich in einem Garten einfangen lassen, besonders merklich im Herbst-Kapitel Erntezeit. Und dies einfach, da die Schmidbauers mit leichten Eingriffen wie Futter- und Wasserstellen, eine für die Vögel sowohl schützende als auch heimelige Flora und einem Immobilienangebot auf 50 Quadratmetern, ihren Garten zu einem Vogelbiotop gemacht haben.

Vielfalt — Do it Yourself 

Wie dies gelang und es ebenso anderen Vogelfreunden gelingen könnte, beschreibt Schmidbauer, der bei den Texten Hilfe seiner Nachbarin Kirsten Strauß-Rohmeis bekam, wie er im Dank anmerkt, am Ende eines jeden Kapitels. Von Birding (also dem Beobachten und Fotografieren von Vögeln) über das Anfertigen und Platzieren von Nisthilfen und Futterstellen zu Mitteln der Gefahrenabwehr und einer passenden Biotopvielfalt. In kurzen, verständlichen Texten führt er geneigte Leser*innen wissend an das Thema heran. Dabei ist er ein großer Fan von DIY — besser selber machen, als industrialisiert zu kaufen.

Der Fokus liegt aber natürlich auf den größtenteils fantastischen Fotografien. Neben vielen Aufnahmen von Kleiber, Meise und Sperling/Spatz finden sich auch diverse Bilder von Jungtieren und seltene Gartenanblicke wie Eisvogel, Bergfink, Wacholderdrossel, Eichelhäher oder Seidenschwanz (es ist Winterzeit). Nicht nur den Texten ist die Begeisterung über diese nicht oft vorkommenden Sichtungen anzumerken. 

Mehr Naturoffenheit wagen

Dank der hohen Qualität der Aufnahmen und der so lebendig wie liebevoll geschriebenen Bildunterschriften in Ein Garten voller Vögel überträgt sich diese auch schnell auf die Betrachter*innen und lässt uns staunen, freuen und gar mitfiebern, welcher Moment als nächstes eingefangen worden ist. Dass Schmidbauer „seine“ Vögel kennt, ihre Eigenheiten versteht und ihre Gesänge zu deuten weiß, hilft natürlich dabei, ihm zu vertrauen, wenn er uns an diese faszinierenden Tierchen heranführt. 

Wachwesel bei den Kohlmeisen-Eltern // Foto: © Heinz Schmidbauer

Somit ist der Bildband eine willkommene Mischung aus sehr persönlicher Naturfotografie (auch Ansichten des Gartens finden sich hier), einer kleinen Anleitung zum Schaffen einer eigenen Vogeloase (kleine Hinweise gibt es auch für Balkonmenschen, der Fokus liegt allerdings dem Titel entsprechend auf dem Garten) sowie der Mahnung, den Umwelt- und Artenschutz ernst zu nehmen. Ja, uns unserer Verantwortung zu stellen, denn das Artensterben ist nun einmal ausschließlich auf den Menschen zurückzuführen. Die Vögel jedenfalls reisen nicht via Kreuzfahrt in den Süden.

Oder anders: Zusätzlich zur Technologieoffenheit könnten wir es doch auch einmal mit Naturoffenheit probieren! Der wunderbare, wirkliche schöne, auch aufwendig aufbereitete Band Ein Garten voller Vögel jedenfalls ist ein sehr guter Anstoßpunkt.

AS

Heinz Schmidbauer: Ein Garten voller Vögel. Paradiese schaffen – der Vielfalt ein Zuhause bieten; April 2022; Hardcover, gebunden; 228 Seiten mit ca. 200 Fotografien; Format: 22,3 x 26,9 cm; Texte in deutscher Sprache; ISBN: 978-3-9541-6341-0; Frederking & Thaler; 34,99 €

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