Berliner Verlage als Tor zur Welt

Es ist doch gar nicht immer alles schlecht! Nachdem mensch im Sommer schon den 5. Geburtstag der nicht-heteronormativen Filmreihe rbb QUEER begehen konnte, dürfen wir nun im vermutlich kalten und nur semi-beheizbaren Spätherbst den ebenfalls 5. Geburtstag des Berliner Verlagspreises feiern, der am 13. November 2022 im Deutschen Theater Berlin vergeben wird und den wir in diesem Jahr mit unserem Online-Magazin begleiten dürfen. Dass es seit der erstmaligen Verleihung durch die Berliner Senatsverwaltungen für Kultur und Europa sowie Wirtschaft, Energie und Betriebe 2018 leichte Jahre für Kultur, Kulturschaffende und Preisverleihungen gewesen wären, dies, nun ja, dürfte wohl kaum einem klar denkenden Menschen über die Lippen kommen.

Wachstum in Krisenzeiten

Dies ist auch dem Grußwort von Klaus Lederer (Die Linke) und Stephan Schwarz (parteilos) zum diesjährigen Berliner Verlagspreis zu entnehmen, in dem wir unter anderem die – mittlerweile leider zum Allgemeinplatz gewordene – Formulierung „[z]wei Jahre Pandemie haben unsere Gesellschaft und das kulturelle Leben verändert“ lesen und weiter: „[f]ehlende Auftrittsmöglichkeiten und mangelnde Sichtbarkeit haben Künstler*innen wie kulturelle Akteur*innen an den Rand ihrer Existenz gebracht.“ Dem ist nicht zu widersprechen.

Schon damals stiegen Papierpreise, auf Nachdrucke musste länger gewartet werden und dabei war nicht einmal immer ein finanzielles Polster gegeben, das notwendige Zweitauflagen so einfach möglich machte. Ein Problem: Die Nachfrage ist da, ein Unternehmen könnte wachsen, allein leisten kann es sich das nicht oder nur schwerlich. Diese Problematik hat sich durch den seit nunmehr bald acht Monate dauernden, unverzeihlichen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Wladimir Putins Russland gegen die Ukraine noch verschärft.

Keine Party ohne Pooper

Somit haben wir nun ein Mehrfachproblem: Die Papierpreise sind hoch, die Knappheit ist es ebenso. Dies gerade in Zeiten, in denen vor allem lange vernachlässigte und unabhängige Stimmen mehr gedrucktes Gehör finden sollten, denn, so das Grußwort „[d]ie oft zitierte ‚Zeitenwende‘ braucht einen gesellschaftlichen Raum, um reflektiert zu werden.“ Zusätzlich steigen die Erzeuger- und Verbraucherpreise weiter an, die Inflation nimmt zu, die Wirtschaftsleistung sinkt, die Unwägbarkeiten für die Nach-Boomer-Generationen wachsen an – so wird es vorerst weitergehen, uns dürfte eine Winterrezession ins nun für mehr und mehr Menschen merklich nicht mehr so gemütliche Deutsche Haus stehen.

[Kleiner Einschub: Ist gut, wie wir hier mit Party und Geburtstag anfangen und dann sagen, wie schlimm es um ALLES bestellt ist, gell?! Oder vulgär? Nee, wartet’s ab – das kommt gleich.]

Aber keine Party ohne Geschenke – wir sind ja hier nicht auf dem Bund-Länder-Treffen vom 4. Oktober 2022 auf dem es, laut dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD),  immerhin „sinnvoll gewesen ist, was wir hier miteinander diskutiert haben und die Grundlage dafür bieten wird, dass wir demnächst dann auch hoffentlich insgesamt mit einem Konzept aufwarten können“ [hier habt ihr vulgär] -, so dachten die oben genannten Berliner Senatsverwaltungen es sich und vergeben, so verfügbar und durch Mittel der Europäischen Union gedeckt, einen wohldotierten Preis. 

Unabhängigkeit, nicht nur für die Ukraine

Der Große Berliner Verlagspreis ist hierbei mit 35 000 Euro natürlich eher Booster als Erstimpfung, aber auch die zwei mit jeweils 15 000 Euro dotierten Berliner Verlagspreise dürfen sich sehen lassen. Den Trostpreis von jeweils 1 000 Euro für die drei weiteren der sechs Shortlist-Verlage dürfte wohl ebenso kein auf Erhalt und Weiterentwicklung ausgerichtetes unabhängiges Verlagshaus ausschlagen. Zumal unterstellt werden darf, dass sie wissen, dass sie genauso geschätzt und gebraucht werden, wie die weiteren ausgezeichneten und nicht ausgezeichneten Verlage.

„Jenseits von Bestsellerlisten und marktgängigen Formaten veröffentlichen unabhängige Verlage Bücher unter einem hohen wirtschaftlichen Risiko und setzen sich leidenschaftlich für Literatur und Meinungsfreiheit ein.“

Aus dem Grußwort zum Berliner Verlagspreis 2022

Nun, vermutlich hätte auch Sebastian Ruzicska, dessen Secession Verlag im vergangenen Jahr den Großen Preis mitnehmen durfte und nun in diesem Jahr in der Jury sitzt, nichts gegen einen Bestseller (wobei wir dann wieder auf den oben erwähnten Wachstumskonflikt stoßen könnten). Ebenso durften sich unter anderem auch schon der Berenberg Verlag, der Querverlag, der Verbrecher Verlag, der Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, KOOKbooks, der Wagenbach Verlag, das Verlagshaus Berlin oder Reprodukt über einen Preis freuen (in den ersten beiden Jahren gab es den Berliner Verlagspreis und Förderpreise).

Lebenswerke

„Die Berliner Verlagsszene ist einmalig und geprägt durch Bibliodiversität. Sie ist der Nährboden für politischen Diskurs, gesellschaftliche Analysen und Visionen. Unabdingbare Grundlage für Bibliodiversität ist das Recht auf freie Meinungsäußerung“, so ebenfalls im hier vielzitierten Grußwort. Und: „Auch der Berliner Verlagspreis 2022 wird verdeutlichen, dass Berliner Verlage oft als Initiatoren von ästhetischen, thematischen und herstellerischen Innovationen von sich reden machen – dass sie mit ihren Büchern gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Diskurse anfeuern und befördern.“

  • Assoziation A 
  • avant-verlag 
  • Ciconia Ciconia 
  • Elfenbein Verlag 
  • eta Verlag 
  • Kanon Verlag

Kann die Shortlist also diese Voraussage von Herrn Lederer und Herrn Schwarz bestätigen? Bei Verlagen und in diesem Sinne auch Verlagspreisen mag dies womöglich noch um einiges schwieriger zu beurteilen sein, als bei Büchern und entsprechend Buchpreisen. Dort geht es um ein Werk, ob Literatur oder Sachbuch, einer Autorin oder eines Autors. Nicht um ein ganzes Programm, eine ganze teils langjährige Verlagsausrichtung, ja ein (geplantes) Lebenswerk.

Von Berlin aus…

Definitiv stehen die sechs aus 66 ausgewählten Shortlist-Verlage für die Vielfalt Berlins. Mit Assoziation A treffen wir auf eine sachbuchorientierte Verlagssituation, die 2001 aus der Vereinigung der Verlage Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg, und Verlag der Buchläden Schwarze Risse und Rote Strasse, Berlin, hervorging (danke, Wikipedia). Dass der Verlag sich im Geiste der 68er-Bewegung sieht, muss hier vermutlich nicht extra erwähnt werden.

Kunst und Literatur treffen sich beim avant-verlag, einem guten Bekannten, der uns mit seinen sehr unterschiedlichen und nicht selten virtuosen Graphic Novels bereits nach Lagos und Argentinien brachte und in einem üppig ausgestatteten Katalog das Schaudern lehrte. Wir werden euch den Verlag demnächst genauer vorstellen. Ebenfalls kunstvoll sind die Cover der im Kanon Verlag herausgegebenen Bücher (leider verpassten wir die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch auf der BUCHBERLIN, shame!). Seien es die Gezeiten der Stadt, Aus unseren Feuern oder auch Kork und der aktuelle Verlagshit Dry von Christine Koschmieder – die Aufmachung verlockt, die Inhalte erfüllen die meisten der Erwartungen. 

…in andere Richtungen schauen

Sehr politisch und postsowjetisch wird es beim Verlag Ciconia Ciconia (also Weißstorch oder auch Klapperstorch), der 2015 vom Autoren und Grafikdesigner Dmitri Dergatchev und dem Kunst- und Medienhistoriker Dr. Wladimir Velminski gegründet wurde und in teils limitierten, bibliophilen Ausgaben osteuropäischen Autor*innen und Künstler*innen Raum bietet. Spannend! Auch der 2016 von Petya Lund gegründete eta Verlag schaut in eine uns nicht allen vertraute Richtung, nämlich nach Südosteuropa

Genau wie für den avant-verlag gab es auch für den eta Verlag 2021 das Gütesiegel des Deutschen Verlagspreises, das immerhin mit 24 000 Euro einhergeht. Übrigens hat sich der von uns erst gestern in unserer 5 Fragen an…-Reihe vorgestellte Tino Schlench in seiner Literaturpalast-Audiospur vor einiger Zeit mit Petya Lund unterhalten. Zu guter Letzt soll noch der Elfenbein Verlag erwähnt werden, der schon das eine oder andere Mal den Deutschen Verlagspreis einheimsen durfte, und der sich der Auflage von Romanreihen und Gedichtzyklen verschrieben hat.

Gern hätten wir uns hier unter anderem der nach und nach erscheinenden Almosen-fürs-Vergessen-Reihe von Simon Raven angenommen. Aber der Verlag von Ingo Držečnik und Roman Pliske macht sehr deutlich, dass ihre Bücher nur zur Rezension fürs gedruckte Feuilleton gedacht sind. Da mögen uns unsere Leser*innen zwar bescheinigen, dass wir hier feines und kritisches Feuilleton machen, doch gedruckt, nun, das sind wir eben bisher noch nicht. 

Spannung und eine Einladung

So sieht diese Liste also vielversprechend und vielseitig aus, lässt uns von Berlin aus in aller Herren Länder kommen und beinahe (!) sind wir froh, nicht Teil der Jury um die Journalistin der Berliner Zeitung, Cornelia Geißler, den Vorstand und Generaldirektor der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Volker Heller, der Gestalterin bei typografie.berlin, Manja Hellpap, der Inhaberin der Buchhandlung Die Buchkönigin, Nina Wehner, der 2020 für den Deutschen Buchpreis nominierten Autorin Olivia Wenzel und dem erwähnten Sebastian Ruzicska zu sein. Leicht dürften diese sechs es sich wohl nicht machen. 

Was uns hingegen sehr leicht fiel, war die Entscheidung, alle der sechs Berliner Shortlist-Verlage dazu einzuladen, in diesem Jahr Teil unserer Weihnachtsbücherei (oder viel eher Festtagsbücherei) zu sein, in der Verlagsmenschen ein Buch aus ihrem Programm empfehlen dürfen, das unbedingt in der winterlichen Festtagszeit geschenkt werden sollte. Das ist ja auch was wert. 

Eure queer-reviewer

Der Berliner Verlagspreis 2022 wird am 13. November 2022 um 11:00 Uhr im Deutschen Theater (dem in Berlin, nicht München…) verliehen; es moderiert Knut Elstermann. Anmelden könnt ihr euch hier

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