Es ist kompliziert

An diesem Mittwoch jährt sich zum 90. Mal die Bücherverbrennung, als deren zentraler Ort der Bebelplatz (bis 1947 Berliner Opernplatz) unsäglich in die Geschichte eingegangen ist. Als Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ wurden, organisiert vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB), am 10. Mai 1933 Hunderte Bücher von ebenso vielen Autorinnen und Autoren verbrannt. Alles was als „entartet“ galt, landete im Feuer. Pazifist*innen, Marxisit*innen, Oppositionelle und Queers — sie alle brannten sinnbildlich. Jüdinnen und Juden sowieso

Zu allem fähig

Bereits 1823 schrieb Heinrich Heine in seiner Tragödie Almansor: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Dass diese (deutschlandweiten) Bücherverbrennungen nur der Mittelteil eines großen, längst loderndere Feuers sein sollten, man hätte es ahnen können. Wer Teile seiner geistigen Kultur und des Wissens und Gewissens erst diffamiert und sie dann dem Feuer übergibt, ist sicherlich zu allem fähig

Lucas Englander als Albert Hirschmann und Cory Michael Smith als Varian Fry // Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

„Die Liste derjenigen Schriftsteller, die unter den Nationalsozialisten diffamiert wurden, trägt Hunderte von Namen. So rigoros hat sich kein Volk von einer ganzen Literatur-Epoche trennen lassen, die in ihrer Hauptrichtung den Namen Expressionismus trägt“, heißt es dazu unter einer Fotografie der Bücherverbrennungen im gerade erst im Wallstein Verlag in neuer Edition veröffentlichten Band Die verbrannten Dichter. Lebensgeschichten und Dokumente von Jürgen Serke. 

Auftritt: Varian Fry

Auf diesen reich bebilderten Prachtband und all die Personen, denen wir darin begegnen, soll in Bälde an anderer Stelle ausführlich eingegangen werden. Unter den im Band Porträtierten finden sich unter anderem Walter Benjamin und Walter Mehring. Diese zwei treffen wir neben vielen anderen berühmten Namen ebenfalls in der seit Anfang April auf Netflix verfügbaren Serie Transatlantic von Anna Winger und Daniel Hendler, die auch die Drehbücher verfassten, an. 

Gillian Jacobs als Mary Jayne Gold, Ralph Amoussou als Paul Diallo, Deleila Piasko als Lisa Fittko, Lucas Englander als Albert Hirschmann, Cory Michael Smith als Varian Fry // Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

In Transatlantic geht es um das Emergency Rescue Committee (ERC), das 1940 auch mit der Unterstützung von Klaus und Erika Mann in New York gegründet wurde. Ziel der Initiative war es, Verfolgte des NS-Regimes aus Frankreich zu retten. Federführend verantwortlich hierfür war der amerikanische Journalist Varian Fry, den man für diese Aufgabe nach Marseille sandte — wo die siebenteilige Serie spielt. Unterstützt wurde er dabei neben ein, zwei Personen aus dem amerikanischen Konsulat vor allem von Mary Jane Gold, einer amerikanischen Erbin, Albert O. Hirschmann sowie der Widerstandskämpferin Lisa Fittko.

Prominentes Schaulaufen

All diese Figuren tauchen auch in der neuen Serie von Deutschland 83/86/89-Macherin Anna Winger auf und werden recht einnehmend verkörpert von Cory Michael Smith (1985, Gotham), Gillian Jacobs (Fear Street Part One/Two/Three), Lucas Englander (Parlament) und Deleila Piasko. Ergänzt um prominente Künstler*innen und Schrifstseller*innen wie eben die beiden Walters Benjamin (ein angestrengt-anstrengender Moritz Bleibtreu) und Mehring (Jonas Nay, eigentlich etwas zu jung für den damals gut vierzigjährigen Satiriker, aber ich freue mich immer, wenn ich Nay sehen/hören kann). 

Jonas Nay als Walter Mehring, Alexa Karolinski als Hannah Arendt, Amit Rahav als Thomas Lovegrove und Cory Michael Smith als Varian Fry // Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

Aber auch Max Ernst (Alexander Fehling) darf nicht fehlen, der dort Peggy Guggenheim (Jodhi May) kennenlernt, die er später heiraten soll. André Breton (Louis-Do de Lencquesaing), Jacqueline Lamba (Hande Kodja), Hannah Arendt (Alexa Karolinski), Marcel Duchamp (Ralph Martin) oder die Chagalls (Gera Sandler, Ronit Asheri) sind ebenfalls von der Partie. Dabei sind nicht alle, die gerettet werden wollen (oder wie die Chagalls bis zum letzten Moment bleiben wollen), unbedingt Sympathieträger. Was der sonst schon manches Mal beinahe märchenhaft anmutenden Serie einen Schuss notwendiger Realität versetzt.

Schlimme Zeit am Mittelmeer

Denn so aufreibend dieses Kapitel, so gefährlich die Zeit für die Beteiligten des ERC sowie die Flüchtenden war, so leichtfüßig und humorvoll wirkt Transatlantic, die auf dem 2019 erschienen Roman The Flight Portfolio von Julie Orringer basiert, über große Teile. Dies obwohl durchaus sehr viele ernste Töne zu finden sind: Ob britische Widerstandszellen und Geheimdienstwirkungen, in die auch der (fiktive) Liebhaber des, nach allem was wir heute wissen, verkappten Homosexuellen Varian Fry, Thomas Lovegrove (wunderbar: Amit Rahav), verstrickt ist, revolutionäre Bewegungen, Klassismus, Kolonialismus und Rassismus sowie Antisemitismus, alles findet statt unter der Mittelmeersonne

Grégory Montel als Philippe Frot und Markus Gertken als Gruppenführer Otto Schrader // Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

Und doch scheint die zugrundeliegende Message von Transatlantic zu sein: Je schlimmer die Zeiten, desto dringender muss das Leben ausgekostet werden. Was will mensch aber auch anderes erwarten, wenn ein Haufen eigenwilliger Künstler*innen zum Warten verdammt in einem chic-heruntergekommen Chateau namens Villa Air-Bel in Südfrankreich zum Warten verdammt sind? Eben.

Soap trifft auf Geschichte

Dies führt dazu, dass die Serie nach einer holprigen Einstiegsfolge sehr kurzweilig aber hier und da durchaus soapig ist. Natürlich vergucken sich Mary Jane Gold und Albert Hirschmann ineinander. Natürlich ist das nicht ganz einfach. Natürlich begehrt Fry den ihm von früher bekannten Lovegrove. Natürlich fühlt Fry sich aber auch seiner Aufgabe und seinem „normalen“ Leben verpflichtet. Natürlich gibt es einen beinahe karikaturesken Polizisten (herrlich: Grégory Montel), der wie ein Halbstaffel-Antagonist aus Gossip Girl wirkt. 

Lucas Englander als Albert Hirschmann and Gillian Jacobs als Mary Jayne Gold // Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

Dass auch so mysteriös wie schablonenhaft angelegte Figuren wie eine Margaux oder der Concierge im Hotel Splendide (hier konnte am Originalschauplatz gedreht werden) Paul Kandjo dank gekonnter Darstellungen von Rafaela Nicolay und Ralph Amoussou funktionieren, ist ein Glück. Dass die Handlung manches Mal ein wenig… wenig ist, fällt zusätzlich kaum auf, allein da die Serie wunderbar ausgestattet ist, die Musik von Mike Ladd und David Sztanke wirklich toll ist, es immer ein Detail oder einen tollen neuen Look von Kostümbildnerin Justine Seymour zu entdecken gibt.

Mitfühlen und mitfiebern 

Auch die sichere, selten verspielte, aber doch nie eintönige Regie von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond (Folgen eins bis vier) sowie Mia Maariel Meyer (Folgen fünf bis sieben) in Kombination mit den pittoresken Bildern von Wolfgang und Sebastian Thaler lassen Transatlantic auf verlässliche Art unterhaltsam und spannend sein. Diese Mischung hätten wir auch der Serienreihe Ku’damm gewünscht, in der jeder Spannungsansatz im Melodrama versenkt wird und die bei allen Wendungen belanglos bleibt (und dazu noch ungehörige Geschichtsklitterung betreibt). 

Das kann Transatlantic definitiv nicht vorgeworfen werden. Zwar nehmen sich Winger und Hendler durchaus manch künstlerische Freiheit, doch wird Geschichte hier nicht umgeschrieben. Auch die Probleme, mit denen das ERC bei dem Versuch Anfang der 1940er-Jahre Menschen aus Frankreich zu bringen, zu kämpfen hatte, werden realistisch wiedergegeben. Am Ende konnten um die 2000 Personen aus dem Land gebracht werden und so vor der Deportation nach Nazi-Deutschland bewahrt werden. 

Courtesy of Netflix © 2023/Foto: Anika Molnar

Ein Teil dieser Geschichte wird in Transatlantic massentauglich erzählt. Die Serie unterhält so gut, wie sie an mancher Stelle informativ ist. Die Darsteller*innen überzeugen, nehmen uns mit. Verknappungen mögen verziehen werden; es geht um einen Abriss. Ebenso um die Geschichten Golds, Hirschmanns und Frys, die durchaus auf eine Art erzählt werden, die uns mitfühlen und -fiebern lässt. Das liegt auch an kleinen Momenten. Jene Stelle etwa, als Varian und Thomas die Werke Marc Chagalls abholen und für einen Augenblick ein mögliches Glück im Garten schwebt, wird lange nachwirken. 

AS

PS: Die Zeit Walter Mehrings in Marseille wird auch im erwähnten Wallstein-Band Die verbrannten Dichter geschildert, dies auch anhand von Einlassungen Varian Frys. Spannend! 

PPS: Apropos Mehring: Mit Jonas Nay arbeitete Anna Winger auch schon in der Deutschland-Reihe zusammen und mit dem offen schwulen Schauspieler Amit Rahav in ihrer anderen Erfolgsserie Unorthodox

Transatlantic ist seit dem 7. April 2023 auf Netflix verfügbar.

Transatlantic; Deutschland 2023; Idee und Buch: Anna Winger und Daniel Hendler; Regie: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond, Mia Maariel Meyer; Kamera: Wolfgang Thaler, Sebastian Thaler; Musik: Mike Ladd, David Sztanke; Darsteller*innen: Cory Michael Smith, Gillian Jacobs, Lucas Englander, Ralph Amoussou, Deleila Piasko, Amit Rahav, Corey Stoll, Grégory Montel, Jonas Nay, Moritz Bleibtreu, Alexander Fehling, Louis-Do de Lencquesaing, Jodhi May, Luke Thompson, Hande Kodja, Rafaela Nicolay, Birane Ba as Jacques, Lolita Chammah, Henriette Confurius, Hanno Koffler; sieben Folgen 47-54 Minuten; FSK: 12; seit dem 7. April 2023 auf Netflix verfügbar

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