Wer spricht hier?

Beitragsbild: 47. Tage der deutschsprachigen Literatur 2023 – Ingeborg Bachmannpreis – Lesungen und Diskussionen; im Bild: Lesung Jayrome C. Robinet // © ORF/JOHANNES PUCH

Ein paar Gedanken zur Literaturkritik aus Anlass der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, die mit der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises einen alljährlichen Literatur-Zirkus präsentieren.

Von Nora Eckert

Eine der brennenden Fragen im Umgang mit Literarischem ist wohl das Verhältnis von Autor und Text und damit die Frage, wer spricht, und schon gar, wenn im Text eine Person erzählend auftritt, die ein Ich repräsentiert und dauernd von sich spricht. Spricht dann der/die Autor*in selbst? In literaturwissenschaftlichen Seminaren wird für gewöhnlich die Trennung von Autor und Text gelehrt. So einleuchtend das bei Fiktivem erscheint, aber geht das überhaupt? Denn ohne die Person, die Texte herstellt, gäbe es keine Texte. Also gehört beides doch irgendwie zusammen, aber wie?

Mit dem Auftakt des Klagenfurter Wettbewerbs stellte sich für die Jury sogleich die Frage, wer da in dem gerade vorgetragenen Text spricht und wie und ob denn Autor und Text zu trennen seien. Die Sache war die: Hier schrieb ein trans*Mann über die Lebensgeschichte eines trans*Mannes, der als Ich-Erzähler auftritt. Das könne doch nur der Autor selbst sein, so die Mutmaßung, wofür auch noch das eine oder andere Detail sprechen mochte, der zum Beispiel von seiner Mädchen-Kindheit, seinem Vater und dem tödlichen Autounfall, bei dem auch der kleine Bruder starb, dann von seiner Transition, seiner Liebe und schließlich seinem eigenen Kind erzählt.

Aber was ist daran eindeutig autobiografisch oder autofiktional? Weil Autor und Erzähler beide trans* sind und ein trans*Autor nur über sich schreiben könne, wenn er eine Transition zum literarischen Gegenstand macht? Wenn ein cis-Autor über Kindheit, Eltern, Schicksalsschläge, Liebe, Ehe, Geburt eines Kindes und dergleichen mehr schreibt und dabei einen Ich-Erzähler auftreten lässt, ist dann ebenso schnell und selbstverständlich die Gleichsetzung von Figur und Autor zur Hand

47. Tage der deutschsprachigen Literatur – Ingeborg Bachmannpreis 2023 – Lesungen und Diskussionen; im Bild: Mithu Sanyal, Insa Wilke, Thomas Strässle, Brigitte Schwens-Harrant, Philipp Tingler // © ORF/JOHANNES PUCH

Die Rede ist hier von Jayrôme C. Robinet, der [auf Einladung von Mithu Sanyal, Anm. d. Red.] Auszüge aus seinem im Entstehen begriffenen Roman Sonne in Scherben las. Er hat den Preis nicht gewonnen, aber darum geht es nicht, denn mit ihm gingen weitere zehn Teilnehmer*innen leer aus. So ist das eben, nur eine*r gewinnt den Bachmann-Preis. Allerdings stießen mir einige Reaktionen der Jury auf seine Lesung sauer auf. Für mich gibt es darin mindestens ein paar Fragezeichen.

Da gab es beispielsweise den Vorwurf „didaktischer Momente“, von „überlasteter Gedrängtheit“ war die Rede und wiederholt von „Konventionalität“, von einem „hochkonventionellen Text“ sogar, ohne zu verraten, was denn nun so konventionell oder didaktisch sei. Das Was oder das Wie der Erzählung oder beides? Wobei es ebenso hieß, der Text würde vom Leser einiges verlangen. Wie denn nun, bei so viel unterstellter Konventionalität? Vermißt wurde auch, dass das Private politisch werde. Bei Robinet sei das nur frommer Wunsch. Wie bitte? Wenn etwas hochpolitisch ist, dann doch die Tatsache, in dieser und in jeder Gesellschaft einer Minderheit anzugehören. Wie wäre es, bei dieser Gelegenheit das sehr private und zugleich hochpolitische Thema der trans*Elternschaft zu vergegenwärtigen samt der Diskussion um das Abstammungsrecht. Hält die Jury trans* etwa für ein Lifestyle-Thema?

47. Tage der deutschsprachigen Literatur – Ingeborg Bachmannpreis 2023 – Lesungen und Diskussionen; im Bild: Mara Delius // © ORF/JOHANNES PUCH

Was die Gedrängtheit betrifft: Vielleicht wäre in Rechnung zu stellen gewesen, dass es sich um einen Auszug, eine Kompilation aus einem Roman handelt, also um einen Schnelldurchlauf im Zeitraffer. Nicht zu überhören waren bei der Jury die Wissenslücken mit Blick auf trans*, abgesehen von offensichtlichen Missverständnissen, wenn beispielsweise Mara Delius (Welt) den Begriff „Dicklit“ als Wortspiel mit „Chicklit“ fehldeutet. Letzteres erklärt Wikipedia so: „Mädels- oder Tussi-Literatur“, sinngemäß „seichte Literatur über oder für junge Frauen“. Was hatte das mit dem Text zu tun? Hat ihr inzwischen jemand erklärt, wofür Dicklit steht? Genau hinhören und genau lesen gehört jedenfalls zur Literaturkritik dazu, scheint aber eine besondere Begabung zu erfordern.

Nein, ich mag keine öffentlichen Hinrichtungen. Ich habe nichts gegen Literaturkritik, sie darf auch heftig sein, am liebsten aber fair (schließlich beteilige ich mich selbst daran), nur besitze ich ein Unbehagen gegen Literaturkritiker*innen in Aktion (beispielsweise Literarisches Quartett oder öffentlich agierende Jurys – würg), auch wenn das offenbar gut beim Publikum ankommt.

Das Glück traf diesmal bekanntlich Valeria Gordeev mit ihrer Geschichte eines jungen Neurotikers mit Putzwahn. Der Weg zum Erfolg führt, wie das bei solchen Castings nun mal so ist, über eine in Literaturkritik geübte Jury. Hervorgehoben wurde, dass Gordeev als einzige eine Geschichte mitgebracht hat, in der es keinen Ich-Erzähler gibt. So weit so gut. Die Geschichte hätte freilich auch mit einer Ich-Perspektive funktioniert – in welcher Figur auch immer dieses Ich ihren Platz von der Autorin zugewiesen bekommen hätte. Ob das bei der Entstehung des Textes eine Überlegung war, wissen wir nicht und ist auch unerheblich. Gleichwohl, wo findet man einen Neurotiker mit Putzwahn? Nur in der Fantasie einer talentierten Schriftstellerin oder doch irgendwo im Leben, in einem Zeitungsbericht, in der Nachbarschaft oder in der psychotherapeutischen Praxis? Gut, ich kannte mal jemanden mit Waschzwang, der sich ständig die Hände waschen musste, wofür eine Phobie der Auslöser war, nämlich die Vorstellung, überall Scheiße anzufassen. Was ich damit sagen will: Die Literatur gräbt ständig in der Wirklichkeit, um daraus ihre eigene zu schaffen. Anders gesagt: Jeder Text braucht einen Autor und jeder Autor die Welt um sich herum und vor allem in sich.

Könnten wir Autor und Text wirklich sauber voneinander trennen, wäre die Frage, wer da gerade spricht, keineswegs leichter zu beantworten, also die Frage von fiktional und autofiktional. Denn ein Ich schrieb den Text, von dem behauptet wird, Fiktion zu sein, und dabei wissen wir nur zu gut, dass wir nichts „erfinden“ können, was nicht schon in unserem Wissen, unserer Erfahrung und unseren Gefühlen eingelagert ist als ein sehr persönliches Gut. Mehr gibt das Gehirn nicht her, außer noch das Talent für Kombinatorik, wie unsere Träume und unsere Fantasie zu verstehen geben. Was unser Wissen freilich nicht hindert, sich ständig zu vermehren.

Man kann es auch so machen wie etwa Patricia Highsmith, die sich in Fragen menschlicher Psychologie gerne Rat in Karl A. Menningers Studie The Human Mind holte, um aus der Lektüre literarisierte Persönlichkeiten zu kreieren, während Thomas Mann gleich ganze Bibliotheken für die Herstellung seiner Romane verschlang, und in Marcel Prousts Suche nach der verlorenen Zeit blieb der Ich-Erzähler zwar „ungreifbar, namenlos, alterslos, grundlos“, wie Roland Barthes treffend bemerkte, aber ein Autor war trotzdem unersetzlich für die Entstehung des Romans.

In Robinets Roman gibt es eine erzählerische Ich-Perspektive – und auch bei den anderen Autor*innen. Ist also das Ich das Problem? Irgendwie ja. Und es berührt die alte und ewig ungelöste Frage: Wer spricht, wenn im Roman eine Figur Ich sagt? Wer verbirgt sich hinter der Erzählstimme, die immer wieder von ich und mir und mich redet? Mir fällt da König Peter aus Georg Büchners Komödie Leonce und Lena ein: „Wenn ich so laut rede, so weiß ich nicht wer es eigentlich ist, ich oder ein anderer, das ängstigt mich.“ Und schon sitzen wir im tiefsten Identitätsschlamassel.

Solange ich von mir erzähle scheint die Sache recht eindeutig autobiografisch zu sein. Aber hoppla, sage ich denn immer die Wahrheit? Oder trügt mich meine Erinnerung? Oder will ich es nur so wahrhaben, wie ich es erzähle. Und schon mische ich eine Dosis Fiktion in das hinein, was so authentisch sein soll. Schon sind wir den Aporien von Dichtung und Wahrheit verfallen, über die Herr von Goethe so Erhellendes mitzuteilen wusste. Solange sich Texte nicht selbst herstellen, werden sich Autor und Text nicht trennen lassen. Und ihr Verhältnis bleibt ewig undurchsichtig wie das zur Wahrheit. Vorsicht ist also geboten.

Zurück nach Klagenfurt und zu den offenkundigen Schwierigkeiten von Resonanzräumen für trans*Autor*innen. Es gehört wohl eine Portion Masochismus dazu, sich als Schriftsteller*in dem auszusetzen, was als Klagenfurter Literatur-Casting inszeniert wird. Wer den Weg nach Klagenfurt nimmt, dürfte jedoch wissen, auf was er/sie sich einlässt. Wer eingeladen wird, liest einen Text, der dann anschließend von der Jury öffentlich zerpflückt wird. Wie fühlt man sich in einer solchen Situation? Und dann: Wie verständlich muss Kritik sein? Worüber reden die jetzt? Werfen mit Begriffen wie Konventionalität um sich, ohne zu verraten, was sie damit meinen.

Eine sprachphilosophisch beliebte Frage lautet: Müssen wir meinen, was wir sagen? Mir hätte es schon genügt, überhaupt das Gemeinte zu erkennen, unabhängig davon, ob es auch so gemeint war. Nach gut einer halben Stunde schloss die literaturkritische Schaubude und der Moderator richtete an Robinet die Frage, ob er dem noch etwas hinzufügen wolle. Nach einem kurzen Moment des Überlegens beließ es Robinet bei einem „Danke“. Ich habe das in Gedanken und für mich so ergänzt: Danke für das Missverständnis. Wut und Verzweiflung können einen sprach- und ratlos machen. Nein, Literaturkritik ist keine Stiftung Warentest, wo wir wenigstens wissen, nach welchen Kriterien geprüft wurde.

Kommentatorin Nora Eckert // Foto: © privat

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

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