Allein on Valentine

Der Valentinstag gehört zu diesen Tagen, die gesellschaftlich mit hohen Erwartungen und manchmal auch ein wenig Pathos aufgeladen sind. Ähnlich wie an Silvester, einem Tag, an dem mensch bis zur Pandemie immer „irgendwas Spektakuläres“ machen musste, wird am 14. Februar das Modell Beziehung hochgehalten. Wer in einer solchen steckt, hat aus der Perspektive vieler Glück. Diejenigen, die dieses „Glück“ nicht haben, werden bedauert oder bedauern sich häufig selbst.

Dabei ist das Singledasein, das Leben allein, nicht unbedingt ein Makel. Es kann sogar ein von vielen bevorzugtes Lebensmodell darstellen. Der Journalist Daniel Schreiber setzt sich daher in seinem Buch Allein, das im Herbst 2021 bei Hanser Berlin erschienen ist, eben mit diesem Leben ohne feste Partnerin oder festen Partner auseinander. In vielerlei Hinsicht ist das sehr nachvollziehbar und erhellend, gleichzeitig aber doch nicht so aufschlussreich, wie es von bereits sehr vielen Stimmen bejubelt wurde.

Alleinsein als Konzept

In acht kurzen Essays von jeweils etwa 20 Seiten illustriert Schreiber verschiedene Facetten des Lebens allein. Darunter fallen eine Abgrenzung von auf Romantik angelegter Beziehung und Freundschaft, eine Reihe teils noch wenig beleuchteter philosophischer und soziologischer Konzepte wie der „uneindeutigen Verluste“, „sexueller oder emotionaler Anorexie“ oder der „permanenten Liminalität“ und eine sehr solide Aufarbeitung der hierzu existierenden wissenschaftlichen Literatur. Auch Abgrenzungen, wie die zwischen „Alleinsein“ und „Einsamkeit“ nimmt er sorgfältig vor.

Diese Konzepte verwebt Schreiber in jedem der Kapitel mit den eigenen Erfahrungen des Lebens ohne festen Partner. Ob es die Praktizierung langjähriger Freundschaften ist, die Bedeutung von Sport und allgemein körperliche Tätigkeit – auch verschiedene handwerkliche Arbeiten wie Stricken, einen Garten zu gestalten oder das Einkochen von Marmelade gehören hierzu – oder eine Reise auf die Kanaren mit Freunden, die er spontan um zwei Monate allein verlängert, Schreiber verwebt seine Analysen des Alleinseins also gekonnt mit seinem eigenen Leben und seinen Erfahrungen.

Allein in der Pandemie und als queerer Mensch

Gerade während der Pandemie haben sich für Schreiber wesentliche Erkenntnisse über sich im Speziellen und das Leben allein im Allgemeinen eingestellt, die er in Allein eindrücklich zusammenfasst. Bei der chinesischen Autorin Fang Fang in ihrem bekannten Wuhan Diary haben wir bereits gesehen, wie wirkungsreich solch ein Erfahrungsbericht sein kann. Anders als bei ihr, geht es bei Schreiber aber weniger um die akute Situation im Lockdown, sondern generell um das Leben in und mit der Pandemie und damit dürfte der Journalist vielen von uns aus der Seele sprechen.

Besonders vielen dürfte der offen schwule Autor aus der Seele sprechen, wenn er Nicht-Heterosexualität und eine „queere Scham“ beschreibt. Vielen Nicht-Heterosexuellen dürfte dieses Gefühl bekannt sein, nämlich zu sich und seiner eigenen Persönlichkeit stehen zu können. Diesen Personen spricht Allein aus dem Herzen, denn empfundene „Andersartigkeit“, egal welcher Couleur, isoliert und führt Menschen zumindest in eine wahrgenommene Einsamkeit. Jenen Personen dürfte die Lektüre von Schreibers Zeilen vermutlich Mut machen, anderen, die diese Empfindung nicht kennen, eröffnet sie eine Perspektive, die nachvollziehbar eine schwierige und oft nicht beachtete Facette des Allein- beziehungsweise Einsamseins eröffnet

Alleinsein ist kein Schmuddelkind

Das Alleinsein bedeutet also keineswegs automatisch ein Leben in Einsamkeit, auch wenn es natürlich durchaus damit verknüpft sein kann. Daniel Schreiber räumt mit einigen Mythen und Stigmata auf, holt diese Lebensform ähnlich gekonnt aus der Schmuddelecke wie Klaus von Dohnanyi kürzlich die nationalen Interessen und eröffnet eine wichtige Perspektive auf diese Lebensform, die von vielen doch noch als nicht erfüllend angesehen wird.

Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass Menschen, die ein Leben allein führen (müssen), natürlich dennoch auf manche Dinge verzichten müssen. So sehr Schreiber die Bedeutung von engen Freundschaften oder gegenseitiger Freundlichkeit hervorhebt, kann eine Freundschaft doch nicht immer das ersetzen, was eine romantische Beziehung ausmacht. Es ist der menschlichen Natur inhärent, dass mensch die „Nummer Eins“ bei einem Gegenpart sein möchte. Schreiber hebt zwar unter Rückgriff auf entsprechende Literatur heraus, dass das Leben ein Zustand ist, in dem mensch mit einem gewissen Maß an Unvollständigkeit leben muss, aber dennoch ist das permanente Streben nach Stabilität in einer Beziehung für viele weiterhin nachvollziehbar.

Allein – es kommt auch auf die Rezipienten an

Eine wesentliche Frage dürfte daher sein, wie die Leserin oder der Leser Daniel Schreibers Buch aufnimmt und verarbeitet. Vermutlich dürfte es Personen mit – auf dem Papier – höherem Bildungsgrad oder einer ausgeprägten Fähigkeit zur Selbstreflexion einfacher fallen, Schlussfolgerungen für das eigene Leben zu ziehen. Dazu trägt sein zwar sehr nüchterner und doch gut lesbarer und flüssiger Stil bei, aber eben auch die teilweise hohe Zahl an von ihm aufgearbeiteten philosophischen und soziologischen Begriffen und Konzepten.

Auch mit nicht unüblichen, aber dennoch nicht alltäglichen Begriffen wie „Rekonvaleszenz“ oder der bereits erwähnten „permanenten Liminalität“ dürften wohl viele in Duisburg-Marxloh, Berlin-Hellersdorf oder Schreibers mecklenburgischer Heimat nicht zu viel anzufangen wissen (und vermutlich auch manche in Schwabing oder Berlin-Grunewald). Auch und gerade an Orten wie diesen könnte eine einfach zugängliche Auseinandersetzung mit den Themen Alleinsein und Einsamkeit aber einen bemerkbaren Einfluss haben.

(Nicht) allein die Situation entscheidet

Ähnlich entscheidend dürfte die Situation sein, in der Leserinnen und Leser sich Allein zur Hand nehmen. Wer sich selbst gerade sehr allein oder einsam fühlt, vielleicht einen Verlust verarbeitet, und Allein zur Hand nimmt, mag womöglich viel Trost in Schreibers Gedanken finden, vielleicht sogar einen Weg aus der aktuellen Situation (wozu auch das Akzeptieren des Alleinseins gehört). Wer Schreibers Buch andererseits mit zu viel Glückseligkeit und Selbstbewusstsein liest, der oder die mag manche Gedanken unter Umständen als ein wenig „weinerlich“ empfinden.

Bei the little queer review brauchten wir ebenfalls zwei Perspektiven, um uns Allein zu erschließen. Während Rezensent Nummer 1 von Daniel Schreibers bisherigen Büchern – vor allem Nüchtern – äußerst angetan war, legte er Allein nach zwei Kapiteln vorerst zur Seite, denn manches Statement oder manche Einordnung des Autoren erfüllten die Erwartungen nach Schreibers zuvor publizierten Gedanken leider nicht.

Rezensent Nummer 2 – der Hauptautor dieses Beitrags – hingegen hatte die in den vergangenen Monaten fast durchweg positiven Stimmen über Allein aufgenommen und sich ebenfalls auf die Lektüre gefreut. Selbst wenn auch er an manchen Stellen mit Aussagen oder dem Vorgehen Schreibers hadert – es fehlt ihm beispielsweise eine Art Hilfestellung Schreibers, wie mensch aus seiner Einsamkeit entkommen oder schwierige, viel Mut erfordernde Entscheidungen (Trennungen, berufliche Neuorientierung) anpacken kann –, er konnte den Gedanken des Autoren doch fast durchgängig folgen und seine aktuelle wie auch manch vergangene Lebenssituation reflektieren und Schreibers Gedanken gut nachvollziehen.

Allein es fehlt… gar nicht so viel

Es bleibt somit abschließend festzuhalten, dass Daniel Schreibers Allein zwar ein durchaus gelungenes, weil sehr reflektiertes und einen schwierigen Komplex des Alltags gut aufarbeitendes Buch ist, auch wenn der Autor manch einen Gedanken leider nicht bis zum Ende aufs Papier bringt. Es ist zwar ein kleines Kunststück, das eigene Leben so sorgfältig und häufig schonungslos zu illustrieren und damit in die Öffentlichkeit zu gehen und gleichzeitig besteht die Gefahr, zu sehr auf die eigene Perspektive oder Situation zu fokussieren.

Schreiber reflektiert seine Texte gut genug, um dieses Risiko möglichst stark zu minimieren, aber vollständig ausräumen kann er es leider nicht – wie es allerdings vermutlich niemand könnte. Wie Leserinnen und Leser sein jüngstes Buch rezipieren, dürfte also nicht zuletzt davon abhängen, wie ihre persönliche Situation ist. Auf jeden Fall ist die Lektüre von Allein lohnenswert, denn gerade an Tagen wie heute dürften viele mit tatsächlicher Einsamkeit oder auch nur gefühltem Alleinsein konfrontiert sein.

HMS

PS: So wie wir generell gerne kochen (siehe auch unsere Rubrik Yummy), ist das Einkochen von Marmelade in der Tat ein schönes und empfehlenswertes Hobby. Unsere letzte Marmelade war kurz vor Weihnachten eine Kürbis-Apfel-Marmelade mit leichter Lavendelnote.

PPS: Das grandiose Cover, entworfen von Katharina Grosse, soll auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Sehr, sehr toll. 

Daniel Schreiber: Allein; 1. Auflage, September 2021; Hardcover gebunden mit Schutzumschlag; 160 Seiten; ISBN: 978-3-446-26792-3; Hanser Berlin; 20,00 €; auch als eBook erhältlich

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