„The Wiener Takes It All“

Heute ist es wieder so weit: Die Olympischen Gay-Gesangsspiele finden statt. Nachdem mensch sich bereits Dienstag und Donnerstag mit Halbfinals, zuvor diversen nationalen Vorauswahlrunden und -sendungen und Berichterstattung, Newslettern und Blogbeiträgen noch und nöcher warmlaufen, -hüpfen, -drehen und -trinken konnte, ist der große Tag nun da. Es ist Eurovision Song Contest-Abend.

Dieses Jahr geht es nach Schweden (konkret Malmö), da im letzten Jahr Loreen mit „Tattoo“, aus uns nach wie vor schleierhaften Gründen, gewann. Das trifft sich insofern ganz gut, als dass es 2024 fünfzig Jahre her ist, dass eine kleine Vierer-Kombo namens ABBA mit einem Nischensong namens „Waterloo“ den ESC, damals noch Grand Prix d’ Eurovision, gewann und spätestens damit für immer in die Annalen der Musikgeschichte einging. Übrigens gewannen auch sie in Großbritannien, nämlich dem Urlaubsort Brighton.

Vorfreude und Melancholie

Bald drei Jahre ist es her, dass ABBA nach vierzig Jahren ein neues, aufgrund schwankender Qualität nicht unumstrittenes Album, auf den Markt brachte. Das heißt „Voyage“ und hat natürlich bei vielen Menschen – Heten wie auch Gays, Queers und Queens – durchaus einiges an Vorfreude und Melancholie ausgelöst. Denn egal ob Boomer oder Millenial, die meisten sollten einige der ABBA-Klassiker auf der einen oder anderen Party gehört haben. Die Mamma Mia-Filme dürften ihr Übriges getan haben.

Ganz aufgeregt ist auch Paul Niemöser in Ralf Königs ABBA HALLO!, das in schön gebundener Buchform die zweite Staffel eines Comicstrips über das langjährige Paar Konrad und Paul beinhaltet, die König seit Beginn der Corona-Pandemie beinahe werktäglich via Facebook und Instagram veröffentlichte. (Die erste Staffel erschien als Vervirte Zeiten im Februar 2021, die Bände können aber auch unabhängig voneinander gelesen werden.)

Italienisches Haar

Wer bereits mit den beiden recht unterschiedlichen und gerade doch deswegen recht gut zueinander passenden Männern und den sie umgebenden Bekannten, Freunden und Familienangehörigen vertraut ist, wird nicht erstaunt sein, zu hören, dass Paul sich nach Herrn Knaller in Vervirte Zeiten auch im bei Rowohlt Hundert Augen erschienenen ABBA HALLO! natürlich wieder in einen haarigen Kerl verknallt. Dieses Mal ist das schmusebaer-koeln aka Romano Pannacotti, den Paul über Ludger aka Lutscher „kennenlernt“.

Gierige Innenansicht // © Ralf König

Der schmusebaer schmust gegen einhundert Euro die Stunde – dies aber für einen guten Zweck. Er sammelt für einen Verein aus Turin (war auch schon mal ESC), der sich gegen Haarentfernung bei Männern einsetzt. Für den bauchigen Knuddelbär Paul, der als Kind in den Testosterontopf gefallen ist, ein nachvollziehbares und dringendes Anliegen. So nimmt dies also seinen Lauf…

Harter Daumen am Gaumen

…wenn manches auch nicht nur für uns, die Comics betrachtenden Leser*innen, überraschend und ungeplant abläuft. Wie auch schon bei der ersten Staffel, so schreibt Comickünstler Ralf König im Nachwort, dass er auch bei den Strips, die schlussendlich zu ABBA HALLO! wurden, keinen Plan hatte, „wohin es wohl diesmal mit Konrad und Paul gehen würde.“ Für ihn sei das kreativer Spaß, der dem wahren Leben ähnele. Zudem sei es fein, dass sich die Online-Leserschaft einbringen könne. Diese Freude und Flexibilität zeichnet den Kölner natürlich aus.

Der Schreibtisch Ralf Königs // © Ralf König

Feststellen lässt sich, dass zumindest ich bei diesem Band weit mehr zu lachen hatte, als beim Vorgänger. Ebenso läuft es flüssiger – mit Romano (bei dem hart am Daumen gelutscht wird – sexuelle Darstellungen sind bei Facebook bekanntermaßen verpönt, also ersetzt der Daumen eben… den Zeh?!); dem Streit mit Schwester Edeltraud, die 1.000 Euro vom Papa haben kann, so sie sich denn impfen lässt (was sie partout nicht will, unter anderem wegen der Rosettabazillen und allem, was sie in den Nachrichten, also der heute show, verheimlichen); Friederichs Sause zum 50. Geburtstag, die er mit mehr als zehn Leuten begeht (und die für König im Geiste dessen Silvesterparty war, nachdem er zwei Jahresübergänge allein in seiner Dachgeschosswohnung mit einer Flasche Schampus zu verbringen hatte). Wir erfahren, wie die Welt ein besserer Ort werden könnte und wozu Pattex nicht alles gut ist. Betty Whites Tod und Putins Angriffskrieg auf die Ukraine finden ebenso Raum wie Bärchenkostüme in Bett und Bahn oder Barry Hoden. Und schließlich gar die recht ernsthafte Frage, wie beständig die Liebe zwischen Paul und Konrad ist…

Pointen mit Hintergrund

…diese taucht auf, als der hedonistische Paul von einer Affäre des als eher heimelig bekannten Partners erfährt. Da ist’s gut, Freund*innen zu haben, die womöglich neben einem offenen Ohr auch einen bewussten Kopf haben. Irgendwie jedenfalls. Ralf König schafft es ganz wunderbar die Ernsthaftigkeit einer dezent festgefahrenen Beziehung mit dem Witz der Lebenserfahrung und dem Wissen, um das, was man(n) hat, zu verknüpfen.

Die Pointen jedenfalls sitzen. Zu lachen gibt es viel, wenn’s auch manches Mal im Halse zu stecken bleiben droht („…Fissuren und Feigwarzen und sonstigem Kreml!“). ABBA zieht sich durch den gesamten Band, zu Beginn gibt es gar eine Art Albenkritik. Zu Silvester wird (intelligent) gelallt und am Ende steht womöglich gar eine Reise an. Sollte Ralf König es wahrmachen und uns weiter und mehr von Konrad und Paul berichten wollen, reisen wir da gern mit.

ABBA in Echt

In der ARD-Mediathek ist mit ABBA – Die ganze Geschichte übrigens eine 90-minütige Dokumentation des preisgekrönten Regisserus James Rogan verfügbar. In seinem Film über die weltweit erfolgreichste Band der späten 1970er-Jahre verwebt Rogan eine vielfältige Erzählung zu Band(geschichte) mit reichlich exklusivem Archivmaterial und Interviews. Natürlich steht das Quartett Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad, Benny Andersson und Björn Ulvaeus im Mittelpunkt und doch ist die Doku keine biografischchronologische Aufarbeitung.

James Rogan über seinen Film
ABBA – v.l.n.r. Benny, Agentha, Frida und Bjorn entspannen auf dem Sofa // © WDR/Alamy

Der Aufstieg der Band, die seit dem ESC 1974 weltweit mehr als 400 Millionen Tonträger verkauft hat, spielt ebenso eine Rolle wie die Liebe zur Musik und untereinander – und der damit verbundene Streit und Krach zwsichen Benni und Anni-Frid. Ebenso bezieht Rogan neben biografischen und musikalischen Elementen auch das gesellschaftliche Umfeld und die politische Gegemengelage der Zeit mit ein. Ein feines Werk zur Kultband, das ebensosehr den Geist der 70er-Jahre einfängt.

Kurzum: Lest ABBA HALLO! von Ralf König, lacht und lernt (was für’s Leben) und schaut ABBA – Die ganze Geschichte, lernt und schwelgt. Aber erstmal ESC schauen!

AS

PS: Apropos ESC: Morgen gibt es selbstredend eine Nachlese von uns, in der wir auch auf die Demonstrationen gegen die Teilnahme Israels und die Drohungen gegen Eden Golan zu sprechen kommen werden.

PPS: Apropos Zeh: „Ja, der große Zeh wär Sex! Eindeutig!“ Word!

PPPS: „Verliebt, verknallt… Deine Differenzierungen sind bemerkenswert.“ Ist doch gut so, derlei Differenzierungen sind wichtig. Genau wie die Unterteilung von Bekannten und Freunden und so.

PPPPS: Bei Egmont erscheint im Juni übrigens ein neuer Band von Ralf König. Er trägt den schönen Titel Harter Psücharter. Wir werden berichten!

Cover ABBA HALLO!

Ralf König: ABBA HALLO!; Februar 2023; 192 Seiten, durchgehend vielfarbig illustriert; Hardcover, gebunden mit Lesebändchen; ISBN: 978-3-498-00347-0; Rowohlt Hundert Augen; 25,00 €

ABBA – Die Ganze Geschichte; Großbritannien, 2024; Ein Film von James Rogan; Eine Produktion von Rogan Productions in Koproduktion mit BBC, WDR, SWR, NDR, France Télévisions, SVT, DR u. a.; Laufzeit ca. 90 Minuten; verfügbar in der ARD-Mediathek

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