Unkraut auf dem Spargelacker

Die Reichsbürger sind wie (guter deutscher) Spargel: ein Saisongeschäft. Wenn es gerade frische Ware gibt, dann ist die Begeisterung hoch. So beispielsweise während der Spargelsaison 2024, als gleich mehrere Gerichtsprozesse starteten. Der, der die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht, dürfte der gegen die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß sein, die sehr offenbar konkrete Putschpläne verfolgte.

Außerhalb der Saison jedoch sind weder Spargel noch Reichsbürger ein großes Thema in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Gefahr durch Reichsbürger jedoch, die besteht auch dann, wenn gerade kein aufsehenerregender Prozess startet oder verhandelt wird. Viel zu wenig ist jedoch bekannt, wie die Reichsbürger agieren, wer sie sind und welche Gefahr sie eigentlich für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen.

Keine „Spinner“

Abhilfe schafft an dieser Stelle ein kurzes Buch von Christoph und Sophie Schönberger, die wohl zu den renommiertesten Staatsrechtlerinnen und -rechtlern der Bundesrepublik gehören. Die Reichsbürger – Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung ist im Oktober 2023 bei C.H. Beck erschienen und gibt auf relativ knappen Raum einen kompakten Überblick über diese Gruppe.

Nach einer kurzen Heranführung an die Thematik arbeiten die Schönbergers zuerst die historischen Hintergründe und das „Staatsverständnis“ der Reichsbürger heraus. Anhand einiger mehr oder auch weniger prominenter Beispiele führen sie uns an die etwas versprengt erscheinende Ideologie und das konkrete Handeln dieser Gruppe heran und gehen abschließend auf die große Rechtsfixierung mit dem versatzstückartigen Herauspicken einiger in das eigene Weltbild passenden Elemente ein. Auch verschiedene individuelle und vor allem kollektive Reaktionsmöglichkeiten auf die Reichsbürger gehen sie abschließend durch und appellieren vor allem, die Reichsbürger und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ernst zu nehmen und sie nicht zu pathologisieren oder einfach als „Spinner“ abzutun.

Krude Weltsicht

Bei der Einordnung dieses Buches gibt es recht wenig zu kritisieren. Das mag daran liegen, dass das Wissen um die Reichsbürger auch bei mir nur in Ansätzen vorhanden war. Christoph und Sophie Schönberger schaffen gekonnt Abhilfe, indem sie sowohl die Hintergründe der Entstehung dieser Bewegung – die die Reichsbürger eigentlich gar nicht sind, sondern vielmehr viele versprengte und einzelne Zellen, die an einigen Stellen Gemeinsamkeiten in ihren Ansichten haben – herausarbeiten als auch genau diese Gemeinsamkeiten herausstellen.

Die in der Öffentlichkeit nicht so sehr wahrgenommene Heterogenität der Szene und vor allem, dass Reichsbürger eben nicht gleich rechtsextrem sind, arbeiten die Schönbergers sehr gut heraus, ähnlich wie auch die Prädispositionen, die eher dazu führen, sich mit den Reichsbürgern zu identifizieren, beispielsweise die leichte Anschlussfähigkeit an Verschwörungstheorien. Auch die aus unserer Sicht oft kruden Perspektiven auf die Welt, auf Deutschland und unsere gesellschaftliche Verfasstheit wird bei ihnen noch einmal viel deutlicher, da sie durchaus die Perspektive der Reichsbürger versuchen einzunehmen und ihren Leserinnen und Lesern näherzubringen.

Die eigenen Waffen

Nur in einem Punkt scheinen Christoph und Sophie Schönberger hiervon ein wenig abzuweichen: Wenn es darum geht, dass die Bundesrepublik Deutschland aus Sicht der Reichsbürger delegitimiert werden soll, werden gewisse bedeutende Urteile des Bundesverfassungsgerichts herangezogen, vor allem zum Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und der damaligen DDR. Die Reichsbürger wenden also Entscheidungen der Staatsgewalt an, die sie als illegitim erachten, um damit ihre eigene Perspektive legitimiert zu sehen. Dies erkennen sie als unauflöslichen Widerspruch in der Argumentation der Reichsbürger.

Nun bin ich – anders als die Schönbergers – auch nur Laie, aber halte dieses Vorgehen dennoch für nachvollziehbar. Es geht den Reichsbürgern doch schließlich um Anerkennung ihrer selbst. Und wenn bereits das höchste Gericht dieses als illegitim wahrgenommenen „Staates“ bzw. der „Deutschland GmbH“ urteilt, dass das Deutsche Reich fortbestehe (und ihre Perspektive somit korrekt sei), was wäre denn besser geeignet, um die eigene Sichtweise zu untermauern (selbst wenn sie, wie in diesem Falle, dennoch völlig verquer ist)? Aus Sicht der Reichsbürger mag genau dieses Argument verfangen, aber die Autorin und der Autor scheinen diesen Punkt tatsächlich so nicht zu erkennen.

Klein, aber bedr-oho-lich

Abgesehen hiervon ist Die Reichsbürger von Christoph und Sophie Schönberger jedoch eine sehr gute und kompakte Darstellung über diese Gruppe, die vielleicht klein, aber dennoch eine nicht unwesentliche Bedrohung für unsere Demokratie sein kann. Sie fassen gut für uns zusammen, welche Sicht die Reichsbürger auf unsere Gesellschaft haben, warum sie ein Problem sind, das es so nur in Deutschland gibt und geben kann und was vor allem die Laienjuristerei anzustellen imstande ist. 

Es mag die Aufgabe einer Spargelkönigin sein, für das deutscheste aller Gemüse zu lächeln. Viele von uns lächeln auch im Umgang mit den Reichsbürgern – aber dann eher, um „diese Spinner“ wegzulächeln. Die Reichsbürger legt jedoch eindrücklich dar, wieso wir im Umgang mit dieser Gruppe weit weniger lächeln, sondern uns kritisch mit dieser Gruppe auseinandersetzen sollten.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Christoph und Sophie Schönberger: Die Reichsbürger – Ermächtigungsversuche einer gespenstischen Bewegung; Oktober 2023; 189 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-406-80750-3; C.H. Beck Verlag; 18,00 €

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