>>Mörder machen keine Winterferien<<

Dass Weihnachten nicht unbedingt besinnlich und gemütlich sein muss, weiß mensch nicht erst seit Loriots legendärem Weihnachten bei Hoppenstedts. Auch jene, die wir (viele) erst Jahre nach der Erstausstrahlung des Programms geboren worden sind, kennen es und wissen drum, wie‘s oft wirklich zugehen kann. Gemütlichkeit kennt keine Grenzen? Oh, doch… oh, doch. So einige. Gern geht an den meist weniger stillen Feiertagen auch mal die eine oder andere Bombe hoch…

Bunt und bombig

So auch in der Weihnachtskrimi-Anthologie Wichtel, Wunder, Weihnachtsmord – 24 Weihnachtskrimis von Kiel bis Wien, die bereits im vergangenen Oktober bei Knaur Taschenbuch erschienen ist (die Rezension zur diesjährigen Storysammlung folgt in Kürze). Gar bunt und bombig geht es da in einer der letzten Geschichten zu (von Ben Tomasson in Kiel), die zu den süffisanteren des Buches gehört.

Durch die Länge der Geschichten von um die zehn bis meist nicht mehr als zwanzig Seiten lassen sich die Storys gemeinsam mit ein paar Kipferln oder einem Stück Dresdner Eierschecke wegsnacken. Allerdings ist es ähnlich wie mit Gebackenem: Die Qualität kann stark schwanken. Ausgerechnet jene etwa um Tant Hedi, die wegen ihres Weihnachtsgebäcks in der Firma beliebt ist, von Regine Kölpin (in Hooksiel) gibt sich besonders betulich und bleibt recht fad. Nützt jo nix, sach ich mal.

Düster und lesbisch

Aber jeder Geschmack ist ein anderer. Dieser hier empfand die ersten fünf bis sechs Geschichten auch in der Themenvariation und unter anderem von Autor*innen wie Florian Schwiecker (der Angeklagte vorm Kriminalgericht Berlin-Moabit heißt hier Christopher Kringel), Mechthild Borrmann (zeigt eine bitter-grausige Vergangenheit auf), Katja Bohnert (erzählt fast dokumentarisch von einer äußerst enervierten Lehrerin) oder Lea Adam (düster!) als besonders stark.

Für die folgenden Kurzkrimis lässt sich beinahe (!) sagen, dass sie sich direkt abwechseln, was Ton und Qualität angeht. Wobei auch manch nicht ganz überzeugende Story dennoch Freude bereiten oder gar Wärme verbreiten kann (qausi Cosy-Krimi), wie etwa Carine Bernards „Der verschwundene Esel“ (Ratingen) oder Su Turhans „Cowboy-Schorle in der Fuggerstadt“.

Gar das eine oder andere lesbische Motiv taucht in dieser Sammlung auf, die gut und gern auch „24 primär feministische Weihnachtskrimis“ hätte heißen können. Besonders in der auch sonst sehr lesenswerten, nachdenklich stimmenden Geschichte „Bescherkind“ von Christiane Dieckerhoff, die in Leipe spielt.

Ost und West

Das freut im Übrigen: Nicht nur wird der so genannte Osten Deutschlands nicht ausgespart (wenn er auch unterrepräsentiert bleibt), nein. Viele der besseren oder besten Geschichten spielen sich dort ab. Mag aber nicht erstaunen: Die Polizeirufe 110 aus Magdeburg und Rostock oder auch der Dresdner Tatort bieten mehr, als viele andere Filme der Sonntagskrimis im Ersten oder diverse TV-Krimis im Allgemeinen.

Was nicht heißt, dass es im Westen nichts Neues oder Gutes gäbe. Andreas Eschbach etwa erzählt in gewohnt griffigem Ton von einem betrügerischen Mann und einer gescheiten Ehefrau – und wie so oft bei Eschbach spielt Schmuck eine Rolle (Stuttgart, Lannert und Bootz). Letzte Weihnachten oder Nie wieder Julio von L. U. Ulder spielt in Peine (Niedersachsen, quasi bei Frau Lindholm) und gehört zu den ausgeklügelsten Storys in Wichtel, Wunder, Weihnachtsmord. Außerdem: Hier ist es einmal nicht die von Familie, Ehemann, Partnerin, Firma oder Leben gehörnte Frau, die sich wehrt und/oder rächt.

Blöd und blumig

Apropos Rache: Die im Münchener Umland (Batic und Leitmayr) spielende Geschichte „Weihnachtsrache“ von Iny Lorentz (das Wanderhuren-Autorenpaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath) ist nicht nur aufgrund des Titels vorhersehbar, auch liest sich nahezu jeder Satz so, dass mensch doch glatt die Rohrnudeln mit Vanillesoße wieder hochkommen. Beispiel: „Alle besaßen breite Schultern und steckten in locker sitzenden Anoraks, um jederzeit ihre Pistolen ziehen zu können.“ Aha. Vom Klang mal abgesehen – wie sind denn die sich im Besitz der Anorak tragenden Personen befindlichen breiten Schultern zu erkennen, wenn dieser so weit ist?

Auch das in beziehungsweise bei Blankenheim spielende „Phantom“ von Mathias Berg um die Psychologin Lupe Svensson und den LKA-Ermittler Otto Hagedorn ist geistiger Trash (wenn auch einer der ersten Sätze ganz witzig ist – drum hier als Überschrift genutzt). Immerhin lernen wir so, auf welche Autor*innen auch im weiteren Lebensverlauf getrost verzichtet werden kann. Die brauchen uns eh nicht – der breite Erfolg spricht für… ja wofür? Wohl dafür, dass Sprache nicht immer eine Rolle spielt bei Storys, die auf plumpen Effekt setzen und jede Feinheit aussparen.

Schmackhaft und abgeschmackt

Doch auch dies dürfte so manchen gefallen. Wie erwähnt schreiben diese Menschen Bestseller (wo ist eigentlich Elke Heidenreich?). Und wie ebenfalls erwähnt, sind Geschmäcker verschieden, was wunderbar ist. Mit dieser gesellig-gemütlichen Note soll geendet werden. Apropos Ende: Die letzte Geschichte von Sonja Rüther in Leipzig, „Schichtlos zur Bescherung“, ist spannend, tragisch, (be)rührend.

Mensch muss sich also nicht ärgern, wenn dieser Bestseller am Ende als Geschenk auftaucht. Denn das Schmackhafte überwiegt das Abgeschmackte.

JW

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Joëlle Stüben, Anne Verhoeven (Hg.): Wichtel, Wunder, Weihnachtsmord – 24 Weihnachtskrimis von Kiel bis Wien; Oktober 2022; 432 Seiten; Taschenbuch; ISBN 978-3-426-52933-1; Knaur TB; 11,99 €

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