Die Macht in Dänemark

Politik ist eine Schlangengrube. Erst kürzlich sahen wir im Hauptstadtroman Der Sandkasten des Schriftstellers Christoph Peters, wie sehr einen die Arbeit in der Berliner Schlangengrube aufreiben kann. Berlin ist dabei allerdings kein Unikum, ganz im Gegenteil. Politik, wenn sie verschiedene Interessen zusammenführen muss und dabei immer wieder von der Realität ein- und überholt wird, ist ein Job, der viele an ihre Grenzen führt.

So auch die frühere dänische Außenministerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen), die etwa ein Jahrzehnt nach ihrer Demission noch einmal als Außenministerin und Juniorpartnerin einer Koalitionsregierung unter der etwas spröde wirkenden Premierministerin Signe Kragh (Johanne Louise Schmidt) in den Ring steigt. So zumindest in der vierten Staffel der dänischen Erfolgsserie Borgen – Macht und Ruhm, die ursprünglich für Netflix produziert wurde und ab dem 7. September auf arte ausgestrahlt sowie parallel in der Mediathek verfügbar sein wird.

Wenn Politik auf Realität trifft

Fast alles in dieser Staffel entzündet sich an den Entwicklungen im mit Dänemark assoziierten Grönland. Zu Beginn wird dort in großem Stil Erdöl gefunden, das Grönland unter seinem quirligen Energieminister Hans Elisasson (Svend Hardenberg) als Schlüssel zu seiner lange ersehnten Unabhängigkeit sieht. Birgitte mit ihrem ökoliberalen Hintergrund, den wir aus den ersten drei Staffeln der Serie kennen, vertritt wenig überraschend eine andere Auffassung und möchte Grönland die Förderung des Öls untersagen. Das hätte nämlich auch größere geopolitische Auswirkungen, denn wir wissen, dass die Großmächte USA, Russland und China ebenfalls Interessen in der Arktis haben.

Bei einer Konferenz stehen sich die zwei Parteien von Birgitte (Sidse Babett Knudsen, 3.v.l.) und Hans Eliassen (Svend Hardenberg, 2.v.r.) erneut gegenüber. Kann Birgitte ihre Gegenspieler davon überzeugen, den Ölgewinn aufzuteilen? // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Wie also die Politik so ist, wenn sie auf Realität trifft, dann wird sie erst recht kompliziert. Das müssen Birgitte und ihr Stab – allen voran ihr neuer Arktisbotschafter Asger Holm Kirkegaard (Mikkel Boe Følsgaard), ihr Staatssekretär Rasmus Gren Lundbæk (Magnus Millang) und ihr Sekretär Oliver Hjorth (Simon Bennebjerg) – auch in dieser Staffel immer wieder schmerzlich erfahren. Ob es die (fast ausschließlich männlichen) Botschafter und Amtskollegen aus mehr oder auch weniger verbündeten Ländern sind, die in Staffel 3 mühsam aufgebaute Partei „Neue Demokraten“ oder auch die eigene Familie ist, die Entscheidungen, die Birgitte treffen muss, bringen sie mehr als einmal in die Bredouille.

Mehr Rücken als Deckung

Ein parallel verlaufender Handlungsstrang betrifft die uns wohlbekannte Journalistin Katrine Fønsmark (Birgitte Hjort Sørensen), die Birgitte in Staffel 3 beim Aufbau der Partei maßgeblich unterstützte. Diese kehrt nach etwa einem Jahrzehnt an ihre alte Wirkstätte zurück und wird Nachrichtenchefin des Senders TV 1. Dort sieht sie sich jedoch mit den Fallstricken der Personalführung konfrontiert und ähnlich wie Birgitte wird auch sie regelmäßig von der Realität und Pfadabhängigkeiten eingeholt.

Katrine (Birgitte Hjort Sørensen) ringt mit ihrer Position als Chefredakteurin bei TV1 // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Die Zufriedenheit mit ihr als Chefin ist jedenfalls überschaubar und die orchestrierten öffentlichen Shitstorms bringen die sonst so auf- und abgeklärte Journalistin an den Rande ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit. Dass sie von ihren Chefs mehr Rücken als Deckung bekommt, macht ihr das Leben nicht gerade einfacher.

Gespür für Themen…

Das Grundsetting der vierten Staffel ist also durchaus ansprechend, zumal gerade der anstrengende Teil, der sich mit der Vereinbarkeit von Ehe bzw. Kindererziehung mit der Berufspolitik befasst, auszufallen scheint. Allerdings machen auch erwachsene Kinder Ärger, zumal wenn sie Schweinelaster kidnappen oder die Mutter in voller Intention, sie kurz vor einem wichtigen Parteitag in der Öffentlichkeit unterzubuttern, vor die Kamera ziehen. An dieser Stelle aus gegebenem Anlass (und es geht nicht um Hubert Aiwanger): Nein, KZ-Vergleiche sind nicht adäquat und ob eines solchen öffentlich gemaßregelt zu werden ist nicht nur akzeptabel, sondern demokratische Pflicht!

Nachdem Birgitte (Sidse Babett Knudsen) erfahren hat, dass Magnus (Lucas Lynggaard Tønnesen) für den Überfall auf einen Schweinetransport verantwortlich ist, herrschen wieder Spannungen zwischen Mutter und Sohn // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Aber zurück zum Ursprungsgedanken: Das thematische Setting ist gut. Borgen befasst sich in dieser Staffel mit hochaktuellen Themen. Es geht um das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und ökonomischer Entwicklung, von Selbstbestimmungsrecht und Kolonialismus. Und wir treten auch in geopolitische Sphären ein, die aktueller kaum sein könnten. Dass Donald Trump einst Grönland kaufen wollte, dürfte nicht von ungefähr kommen. Hier beweisen die Macherinnen und Macher jedenfalls ein gutes Gespür, welche Themen sie wie auf die Bühne heben und so einem Publikum näherbringen, das sich sonst vielleicht nicht zu sehr damit befasst.

…aber nicht für die Umsetzung

Auf einer weiteren Ebene gibt es nämlich viele weitere wichtige Themen, die wir in dieser Staffel finden: Frauen und ihre Chancen in der heutigen Gesellschaft ist so eines. Oder die Frage nach Authentizität und der Rolle sozialer Medien in der Spitzenpolitik. Leider gibt es aber gerade hier eher Defizite in der Verarbeitung. Birgitte und auch Katrine schienen jeweils eine Art Image- oder Persönlichkeitswandel durchzumachen. Zumindest wird uns dieser Eindruck ihrer jeweiligen Bezugskreise vermittelt.

Nach einem emotionalen Wiedersehen mit Birgittes (Sidse Babett Knudsen) ehemaligem Mentor Bent unterstützt sie ihr Sekretär Oliver (Simon Bennebjerg) // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Birgitte wird zunehmend wieder zu einer Art schlechten Mutter stilisiert, zu einer Frau, die sich von der zugänglichen und abwägenden Person zu einer eiskalten Machtpolitikerin entwickelt, die einfach nur noch an ihrem Stuhl klebt und ihre Prinzipien wie auch die ihrer Partei verraten haben soll. Katrine wird als eine Frau dargestellt, die kein Gespür für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, diese nicht führen kann und sich einfach nur „hochbeißen“ will.

Keine bitches!

Und es stimmt, beide kämpfen mit Widrigkeiten, beide reagieren auf die Vorgänge, die sich um sie herum entwickeln und mit denen sie umgehen müssen. Und obwohl beide Frauen versuchen, ihr Handeln zu erklären und in ihre Kommunikation einzubetten, scheint ihnen das nicht zu gelingen. Die Sache ist nur: Eigentlich machen die beiden im Großen und Ganzen nichts falsch. Wenn Mitarbeiterinnen rebellieren oder Partner einem Steine in den Weg legen, dann kann man – oder in diesem Fall frau – nicht alles schlucken. Manchmal muss frau Kontra geben und die Macht, die sich in einer Führungsposition sammelt, auch nutzen.

Bei TV1 gibt es immer wieder interne Intrigen. Der ehemalige Chefredakteur Torben (Søren Malling) steht Katrine (Birgitte Hjort Sørensen) als Einziger zur Seite // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Das ist nicht bitchiness, sondern das ist Führungsstärke. Birgitte und Katrine jedoch werden uns nicht als starke Führungspersönlichkeiten präsentiert, sondern als – sorry to say – bitches, die alles um sich herum wegmobben und -beißen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Nur schaffen es die Macherinnen und Macher dieser vierten Staffel – wie übrigens auch vielfach in den früheren Staffeln – nicht, das angemessen zu vermitteln. Politik und Journalismus sind hier schmutzige Geschäfte und die beiden Protagonistinnen mutieren zu männerfressenden Biestern. Das ist unverdient und das haben die Macherinnen und Macher nicht gut gemacht.

Kennen wir uns?

Dazu kommen weitere Kleinigkeiten, die trotz der oft vorhandenen Spannung das Seherlebnis wieder einschränken – die wir aber auch schon aus früheren Staffeln kennen. Katrine und Birgitte interagieren beispielsweise fast gar nicht miteinander, obwohl sie einander gut kennen. Im Prinzip sehen wir hier zwei Serien, die miteinander nur am Rande zu tun haben. Hier wäre es möglich und sinnvoll gewesen, weitere Verbindungen zu schaffen.

Asger (Mikkel Boe Følsgaard) hat mit seiner Rolle als neuer Arktis-Botschafter zu kämpfen // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Ebenso gibt es genügend Nebenschauplätze – Affären von Mitarbeitern, Parteigeplänkel, Partikularinteressen – die oft angedeutet oder aufgemacht, aber dann fallengelassen oder auch nur schlecht an- und abgebunden werden. Auch das ist eine Schwäche der ersten Staffeln, die sich hier fortsetzt.

Ein dänisches House of Cards?

Fazit: Ist die vierte Staffel von Borgen sehenswert? Ja. Gerade für Personen, die House of Cards zumindest anfangs gut fanden, gibt es hier eine Art dänisches Revival – das aber auch ähnlich wie das andere Netflix-Original (und ja, uns ist bekannt, dass auch das nur ein Remake einer britischen Vorlage ist) seine deutlichen Unzulänglichkeiten hat.

Birgitte (Sidse Babett Knudsen, Mi.) hat eine Entscheidung getroffen, die alle überrascht. Die Medien verfolgen das spannende Ereignis // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Statt Politthriller sind wir hier eher mit einer Politsoap konfrontiert. Das ist unterhaltsam, bisweilen aber auch langatmig, nervig oder bedient manchmal auch wenig wünschenswerte Narrative. Wir haben uns gefreut, als wir sahen, dass arte die Serie nun im Free-TV ausstrahlt, sind jetzt aber auch froh, dass die acht Folgen nun vorüber sind.

HMS

Borgen – Macht und Ruhm // © Mike Kollöffel/Foto: ARTE F

Borgen – Macht und Ruhm; acht Folgen. arte zeigt die ersten vier Folgen am 7. September 2023 ab 21:40 Uhr und weitere vier Folgen am 14. September ab 21:40 Uhr; die Folgen sind jeweils am Tag der Ausstrahlung in der Mediathek verfügbar (bis 13. Oktober 2023). Auch die ersten drei Staffeln finden sich bis zum 14. Juni 2024 in der arte-Mediathek.

Borgen – Macht und Ruhm; Dänemark 2022; Buch: Adam Price, Emilie Lebech Kaae, Maja Jul Larsen, Martin Lidegaard; Regie: Per Fly, Mogens Hagedorn, Dagur Kári; Musik: August Fenger; Darsteller*innen: Sidse Babett Knudsen, Birgitte Hjort Sørensen, Søren Malling, Mikkel Boe Følsgaard, Svend Hardenberg, Simon Bennebjerg, Lucas Lynggaard Tønnesen, Mikael Birkkjær, Johanne Louise Schmidt, Lars Mikkelsen, Nivi Pedersen, Özlem Saglanmak, Lisbeth Wulff, Peter Mygind, Magnus Millang, Youssef Wayne Hvidtfeldt, Jens Albinus, u. v. a.; acht Folgen à ca. 55 Minuten

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