Schlangengrube an der Spree

Das politische Berlin wird häufig als Schlangengrube bezeichnet – vermutlich auch nicht ganz zu Unrecht. Neid und Missgunst, Durchstechereien und vordergründig geheuchelte Freundschaft. Christian Lindner und Robert Habeck dürften ein ganzes Liederbuch mit Anekdoten füllen können. Und was die SPD nicht an Storys in den zahlreichen Verlagen herausgeben könnte, an denen sie beteiligt ist

In der Doppelrolle

Medienschaffende nehmen hier eine merkwürdige Doppelrolle ein: Einerseits sollen sie als Außenstehende das Geschehen, das Verhalten, die Äußerungen von Politikerinnen und Politikern einordnen und bewerten. Andererseits sind sie aber selbst auch Teil des Spektakels. Sie führen Gespräche und Interviews, öffentlich wie nichtöffentlich. Sie diskutieren informell mit Abgeordneten und Lobbyistinnen oder Interessenvertretern. Sie recherchieren, sind aber dennoch oft früh in Entscheidungsprozesse eingebunden.

Von diesem Leben eines Hauptstadtjournalisten berichtet der Autor Christoph Peters in seinem Roman Der Sandkasten, der im Sommer 2022 im Luchterhand Verlag erschienen ist. Hauptfigur ist der bekannte und einflussreiche fiktive Rundfunkjournalist Kurt Siebenstädter, der vielen Menschen aus dem bundesweiten Radio und vor allem aus der Morgensendung bekannt und sowohl beliebt als auch gefürchtet ist.

Wer sägt da an meinem Stuhl?

Siebenstädter ist – wie heißt es so schön – mit allen Wassern gewaschen, entlockt Ministern und Abgeordneten gerne einmal ein ungewolltes Statement oder träumt von Affären mit Kolleginnen oder Politikerinnen (manchmal bleibt es auch nicht bei den Träumen). Er ist Ehemann und Vater einer pubertierenden Tochter, die für ein Jahr in die USA gehen möchte und mit rund fünfzig Jahren lange genug im Business dabei, um zu wissen wie – noch so eine Metapher – der Hase läuft.

Von mehreren Seiten wird ihm nämlich in Der Sandkasten zugetragen, dass sein Stuhl bedrohlich wackele, dass jüngere und Quotenmenschen an seinem Stuhl sägen (lassen) und das Ende seiner Karriere erstaunlich nah sein könnte. Und das inmitten einer Pandemie, einer Situation, die – wer kann es glauben – recht nah an den Geschehnissen vor dem zweiten Lockdown im Herbst 2020 zu sein scheint und in gerade mal wenigen Tagen in jener (lange vorbei geglaubten) Zeit spielt.

…und eigentlich ist er doch ein Rind

Wir erinnern uns: Das war die Zeit, als der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angeblich ein dubioses Spendendinner veranstaltet haben soll, Karl Lauterbach noch beliebt war und als kompetenter Pandemiefachmann durch die Markus-Lanz-Sendungen der Republik tingelte, die FDP irgendwo zwischen Bürgerrechten und Ansätzen des Querdenkens lavierte und Missgünstlinge in allen Parteien versuchten, der Konkurrenz Ziegelsteine in den Weg zu legen.

Ok, manches davon ist zeitlos, aber zumindest die Spenden-Sache lässt sich recht genau auf einen Zeitpunkt festlegen. Jedenfalls finden wir den fiktiven Charakter Siebenstädter in einem recht ähnlichen Mikrouniversum und irgendwie scheinen diese Tage so etwas wie Schicksalstage für ihn zu werden. Ein richtig sympathischer Zeitgenosse ist er nicht, aber das muss er auch nicht sein. Im Gegenteil, irgendwie leiden wir zwar mit ihm, aber auch unser Mitleid kennt irgendwo Grenzen… So geht es uns auch mit den fiktiven Politikerfiguren um ihn herum, die wir schon eher fiktionalisiert nennen wollen, so deutlich ist an vielen Stellen das real existierende Vorbild zu erkennen. 

„Der größte Puff der Republik“

Christoph Peters, das dürfte an dieser Stelle klargeworden sein, hat also einen Roman geschrieben, der sehr deutlich auf eine Figur zugeschnitten ist. Alles, was wir lesen, ist in Kurt Siebenstädters Kopf oder er erlebt es selbst und wir erleben es mit ihm. Wir fühlen die Scham und Unlust, wenn er den beliebten Gesundheitspolitiker mit Lauterbachanleihen zufällig in der Bahnhofsdrogerie trifft, kurz bevor er mit demselben zu einem Hintergrundgespräch verabredet ist. Sein Paarungstrieb ist auch in der Realität omnipräsent (wie sagte einst ein Bekannter über den Bundestag: „Willkommen im größten Puff der Republik!“). Und natürlich verfolgt jede und jeder die eigenen Ziele.

Wie grausam und skrupellos das sein kann, wie in der Hauptstadt manipuliert und intrigiert wird, wie aber auch an anderer Stelle wieder zusammengehalten und die Scheuklappen hochgeschlagen werden, auch das erfahren wir in diesem Buch. Christoph Peters gibt seinem Protagonisten einen Charakter, den mensch mögen kann, aber beileibe nicht muss. Und einen, der mit den Konsequenzen seines Tuns konfrontiert wird.

Wahrnehmung statt Wahrheit

Das heißt nicht, dass das politische Berlin nicht auch seine guten Seiten hätte, ganz im Gegenteil. Dort werden wegweisende Entscheidungen getroffen, es wird um Alternativen gerungen und gestritten und ja, natürlich gibt es Fälle, in denen die Mittel fragwürdig erscheinen, aber gleichsam lebt die Demokratie von genau diesem Wettstreit. Wenn wir nun also von der Schlangengrube reden, dann mag das stimmen, aber ist eben auch nur ein Teil der Wahrheit.

Eine Wahrheit präsentiert uns Christoph Peters in Der Sandkasten nicht, sondern vielmehr eine Wahrnehmung. Wir begleiten den nur in Teilen sympathischen Charakter Kurt Siebenstädter durch sein Dasein in der Pandemie, fühlen mit ihm, aber sehen ihn auch kritisch, während er an einer Weggabelung seines Lebens und seiner Karriere scheint – und das erst nach und nach selbst wahrhaben will. Die Story ist dabei glaubwürdig und stringent, bissig, humorvoll und löst dennoch manch einen Denkanstoß aus. Sein Buch ist ohne Einschränkung lesenswert und verspricht gute Unterhaltung, ohne aber dabei zu sehr und undifferenziert auf „die da oben“ zu schimpfen.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Christoph Peters: Der Sandkasten; August 2022; Gebundenes Buch mit Schutzumschlag; 256 Seiten, ISBN 978-3-630-87477-7; Luchterhand Literaturverlag; 22,00 €

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