Nichts Neues im Ausschuss

In einer öffentlichen Anhörung haben die Bundestagsparteien die Frontlinien in der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz befestigt. Fazit: vorerst Bewegungsstillstand.

Von Nora Eckert

Insgesamt elf Sachverständige waren am gestrigen Mittwoch eingeladen, um vor dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sich in kurzen Statements zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) zu äußern und anschließend Fragen von Bundestagsabgeordneten zu beantworten. Das SBGG ist mittlerweile und damit endlich nach großer Verspätung ins Parlament zur Beratung eingebracht worden. Eingeladen wurden die Sachverständigen wie üblich von den Parteien des Bundestags.

Die einzige Gemeinsamkeit von Pro und Contra SBGG besteht darin, dass beide Seiten den Gesetzentwurf kritisieren, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen und mit ebenso unterschiedlichen Konsequenzen, was auf jeden Fall ein Hinweis darauf ist, dass es sich – um es milde auszudrücken – nicht gerade um einen gelungenen Entwurf handelt. Aber das wussten wir ja bereits seit der Veröffentlichung des Kabinettsentwurfs Ende August. Fatal ist jedoch, dass wir ein Selbstbestimmungsgesetz dringend brauchen.

Was die zwar durchgehende, aber ganz und gar nicht einhellige Kritik am SBGG betrifft, lässt sich Folgendes resümieren: Diejenigen, die gegen das SBGG sind, nämlich AfD und CDU/CSU (wobei es in der Union durchaus wohlwollende Abgeordnete gibt, die für das SBGG stimmen würden), wollen das Gesetz verschlimmern und votieren für mehr Restriktionen. Mehr Restriktionen – schon wegen der in den Fragen und Antworten stets virulenten Missbrauchsängste, die zwar nichts mit der Realität zu tun haben, aber immerhin die seltsamen Phantasien verraten, die in so manchen Gehirnen zu Hause sind. Kurze Zwischenbemerkung: Zur ersten Lesung des SBGG im Bundestag am 15. November brachte die AfD einen eigenen Antrag ein, und zwar zur Erhaltung des sogenannten Transsexuellengesetzes (TSG) – nur eben noch verschärfter. Sicher, wer erwartet schon Gutes von Rechtsaußen?

Ganz anders die Pro-SBGG-Gruppe – und das sind nicht nur die Interessenverbände BVT* und TGEU, sondern Jurist*innen, Frauenverbände, Menschenrechts-Expert*innen: Sie sind klar gegen (weitere) Restriktionen und für die Stärkung der Persönlichkeitsrechte von trans*, inter* und nicht nichtbinären Menschen. Sie kritisieren zu Recht die nicht zu übersehenden Diskriminierungspotentiale (Stichwort Hausrecht, Abstammungsrecht und noch einiges mehr) bis hin zu verfassungswidrigen Regelungen im Gesetzentwurf (Stichwort Datenübermittlungspflicht an sämtliche Sicherheitsbehörden). Während hier mit Menschenrechten argumentiert wird, beschwören die anderen vorzugsweise irrationale Ängste.

Und wer Angst hat, entwickelt Schutzbedürfnisse, verschließt Türen und baut hohe Hürden auf. Ihnen ist die Änderung des Personenstands und des Namens per Sprechakt, also Selbstauskunft vor dem Standesamt ein Dorn im Auge. Dann könnten Millionen von cis-Männern ihren Geschlechtseintrag ändern, um von der Frauenquote zu profitieren, um Damentoiletten und -umkleiden zu benutzen, sich im Verteidigungsfall vor der Wehrpflicht zu drücken und was des phantasierten Schwachsinns noch mehr ist. Übel nur, dass die das ernst meinen, als ob die nicht wüssten, dass beispielsweise sexualisierte Gewalt Tag für Tag geschieht. Das geht ganz ohne Änderung des Geschlechtseintrags. Wie das?

Deshalb kommt von dieser Seite auch stets die Forderung: Gutachten her! Nicht wir trans*, inter* und nichtbinären Menschen sollen sagen dürfen, wer und was wir sind, sondern Dritte sollen das entscheiden. Also wie bisher im Transsexuellengesetz. Nur so sei sichergestellt, dass die Millionen von cis-Männern nicht morgen alle vorm Standesamt Schlange stehen, um sich per Sprechakt in Frauen zu verwandeln. Das Argument, mit der Begutachtung würden ja auch trans*Personen selbst „geschützt“ werden (gewissermaßen vor sich selbst und eventuellen Irrtümern), geht von der Annahme aus, auf unsere Selbstwahrnehmung sei kein Verlass und wir würden glauben trans* zu sein, weil das gerade hipp ist oder wir einfach nur mit dem Leben nicht klarkommen.

Noch gravierender erscheint mir jedoch mit der Forderung nach Begutachtung die Festschreibung der Pathologisierung von trans*. Wir sollen die armen kranken Menschen bleiben, als die uns das TSG seit 1981 behandelt. Das weiß heute niemand mehr, aber Ende der 1970er Jahre, als damals das TSG zur parlamentarischen Beratung anstand, gab es die gleichen Befürchtungen auf Seiten der Unionsparteien, die halbe Republik würde die Amtsgerichte stürmen, um eine Namensänderung zu beantragen. Schon damals kursierten Missbrauchsängste, die sich als absolut unberechtigt erwiesen haben.

Ein ganz großes Thema ist auf Seiten der Contra-SBGG-Gruppe das Thema Kinder und Jugendliche und der Vorwurf, eine sogenannte trans*affirmative Medizin würde die jungen Menschen ins Verderben schicken durch irreversible medizinische Eingriffe. Mal abgesehen davon, dass solche Eingriffe nicht vor der Volljährigkeit vorgenommen werden (mit sehr seltenen Ausnahmen), doch was hat das mit dem SBGG zu tun? Unterstellt wird, dass es eine Art Türöffner für medizinische Indikationen sei, als ob ein neuer oder, genauer gesagt, richtiger Name ein Freifahrtschein in den nächsten OP-Saal bedeute. Ich habe nicht den Eindruck, dass man bei der Union wirklich weiß, in welchen Nöten sich trans*Jugendliche befinden können, mit welchen familiären, sozialen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten sie oft konfrontiert sind.

Und dann ist immer wieder von der „Unreife“ junger Menschen die Rede, die angeblich nicht wissen können, welches Geschlecht ihr richtiges ist. Der Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck, eingeladen von CDU/CSU, ist dieser Ansicht. Leute wie er, leben davon, das trans*Sein als psychopathologisch festzuschreiben. Indem sie die Geschlechtsidentität grundsätzlich problematisieren machen sie uns im wahrsten Sinne zu „Problemfällen“. Sie verhindern ein positives Selbstbewusstsein im trans*Sein, das uns sagt: ja, so wie wir sind, sind wir richtig. Unsere Normalität heißt nun mal trans*. An dieser Stelle fällt mir die große Feministin Simone de Beauvoir ein, die die Psychoanalyse zu den Religionen rechnete. Man muss an sie glauben. Herrn Ahrbeck möchte ich seinen Glauben nicht nehmen, aber ich möchte gerne davon verschont bleiben.

Wir, das sind wir trans*, inter* und nichtbinären Menschen, wir verlangen, und zwar mehrheitlich, Selbstbestimmung. Mir ist noch niemand in der Community begegnet (außer Till Amelung), der nicht für die Selbstbestimmung votiert. Wir haben ein Recht darauf, dass unsere Persönlichkeitsrechte geachtet werden und menschenrechtliche Standards in der Zugänglichkeit zu einem neuen Namen und einem geänderten Geschlechtseintrag Berücksichtigung finden. Das SBGG hilft einer Minderheit, aber verändert nichts an den Lebensverhältnissen für die Mehrheit. Wir brauchen das SBGG, nur eben verbessert, weniger diskriminierend, damit wir endlich einen Schritt weiterkommen auf dem Weg zur Gleichbehandlung, zur vollen gesellschaftlichen Teilhabe und Inklusion – gerade weil wir keine Wahl haben zu sein, was wir sind.

PS: Wer nachhören möchte, was genau gesprochen, gefragt und geantwortet wurde während der Anhörung, dem sei die Mediathek des Deutschen Bundestages empfohlen.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverband Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert