Dicke Landluft macht auch nicht gesund

Auf dem Land, da sei alles gut, heißt es so schön. Dass das pauschal nicht stimmen kann, dürfte den meisten klar sein. Der Österreicher Dominik Barta gibt in seinem bei Zsolnay erschienenen Debütroman Vom Land ein Beispiel dafür, dass auf dem Land heutzutage einiges im Argen liegt.

Was passiert: Vom Land spielt in dem fiktiven oberösterreichischen Dorf Pielitz, in dem die Bäuerin Theresa Weichselbaum mit ihrem Mann Erwin einen großen Hof bewirtschaftet. Aus dem gefühlten Nichts wird Theresa krank, besucht für einige Tage ihre Schwester am Attersee und kommt nach einiger Zeit zurück, denn die Arbeit und das Leben müssen ja weitergehen. Oder?

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Handlungsstränge, die sich im familiären Mikrokosmos um Theresa und Erwin abspielen. Da sind ein untreuer Ehemann, der, ebenso wie der erfolgreiche und den Neurechten verbundene Geschäftsmann, gegen die Flüchtlinge im Ort hetzt und die dies auf eine doch etwas dramatische Spitze treiben. Da ist der noch unschuldige Enkel, der viel Zeit mit einem dieser Flüchtlinge verbringt. Da sind ein Hauch von Homoerotik und ein Haufen Mist, äh Homophobie, Fremdenhass und zugleich die ortsübliche Missgunst und das Geschwätz, das die Leute tagtäglich beschäftigt. Das also, was man leider vielerorts schon immer in solch kleinen, einander belauernden Gemeinschaften vorfand, gepaart mit den hässlichen gesellschaftlichen Auswüchsen der heutigen Zeit.

Was passt: Der 1982 geborene Barta zeigt mit seinem Debüt, dass er ein großes Talent zum Erzählen hat. Er schafft es, die Landschaft im Ort, die Stimmung unter den Leuten, die Situationen eindrücklich zu beschreiben, sie plastisch werden zu lassen. Als Leser hat man oft ein Bild davon im Kopf, wie es in der Umgebung aussieht, wie sich dieser oder jener Charakter fühlt und wie es den Leuten vor Ort geht. In dem aufgespannten Universum gibt es auch immer Hintergründiges und den einen oder anderen typisch österreichischen Begriff. Für eine jede Situation gibt es etwas Hintergelagertes. Barta schafft es gut, solche Szenen vor dem geistigen Auge nicht nur darzustellen, sondern ebenfalls die Motivation erfahrbar zu machen.

Mit der Thematik von Flucht und Vertreibung, dem syrischen Bürgerkrieg und der ablehnenden Haltung in vielen mitteleuropäischen Ländern bindet Barta außerdem die aktuellen Gegebenheiten ein. Er schafft so eine ganz gute Verbindung zwischen der „alten“ Welt und Zeit, wie wir sie kennen, und den Herausforderungen und vermeintlichen gesellschaftlichen Umbrüchen, mit denen wir heute konfrontiert sind. Hierzu passt auch ganz gut, dass der alles andere als schöne Begriff „Schwuchtel“ in recht hoher Frequenz auftaucht. Das mag man als aufgeklärter Leser im 21. Jahrhundert bedauerlich finden, ist aber auf dem Land heute leider noch gang und gäbe.

Was passt nicht so: Es ist viel los, zu viel. Barta bleibt zwar im Mikrokosmos um Theresa und den (am Ende heimlichen Star) Erwin, aber die Protagonistin macht die Hälfte der Erzählung erst einmal Kurzurlaub. Sie findet also quasi nicht statt.

Stattdessen kommt die Posse um den untreuen Ehemann, Schwiegersohn Fridolin, sowie das sich sehr schnell entwickelnde Pflänzchen an Zuneigung zwischen dem Enkel Daniel und Flüchtling Toti. In sich ist die Handlung zwar geschlossen, doch wirkt sie an vielen Stellen nicht auserzählt. Barta macht hierfür einfach zu viele Handlungsstränge auf. Wie er ganz am Ende noch gefühlt gezwungen irgendwie das Thema eines lange verschleppten Outings in das Buch hineinquetscht, illustriert das recht eindrücklich. Das hätte er besser entweder früher gemacht, oder eben ganz weggelassen. Hier fügt sich der erzählerische Takt nicht dem Willen des Autors. 

Vom Land ist eine kurze und anregende Geschichte über die Höhen und Tiefen des heutigen Dorflebens. Es geht um unerfüllte Träume, nur bedingt zu rechtfertigende Unzufriedenheit und darum, wie sich das Leben im Dorf heute von früher unterscheidet. Und dort, wo es noch mehr Damals als Heute ist, man sich aber dennoch unweigerlich mit den Themen, Fragen und Problemen von heute konfrontiert sieht. Das ist für ein so kurzes Büchlein sehr viel und an dieser Mannigfaltigkeit scheitert das Buch schlussendlich ein wenig, wenn auch sprachlich schön und auf hohem Niveau. Für einen lauen Sommerabend oder eine Zugfahrt aufs Land ist es aber dennoch eine halbwegs passende Lektüre, zeigt es doch, dass auf dem Land sowohl gute und vernünftige Menschen leben als auch solche, die vor Borniertheit nur so strotzen. Vor allem für die ewigen Stadtkinder, lasst euch das von einem Landei im städtischen Exil gesagt sein, sei es empfohlen, um ein Gespür für das Leben, den Alltag und die Probleme auf dem Land zu bekommen.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier und eine Lesung hier.

Dominik Barta: Vom Land; 3. Auflage, 2020; 176 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-552-05987-0; Zsolnay Verlag, Wien; 18,00 €; auch als eBook erhältlich

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author